Statt Theaterstück ein Theaterexperiment. Das Oldenburgische Staatstheater bietet eine Bühne für ein außergewöhnliches Theaterprojekt. Dort sind passive Zuschauer fehl am Platz. Wer kommt, wird sich Gedanken über Grenzen des Wachstums und ihre Alternativen machen – und zwar mit Haselnüssen. (Foto: Beatrice Murch/Flickr)
Betritt man ein Theater, dann erwartet man, dass umherstehende Servicekräfte den Zuschauern Orientierung auf dem Weg zu ihren Sitzplätzen bieten. Im Oldenburgischen Staatstheater ist es etwas anders. Zum einen existieren keine Sitzplätze. Die Zuschauer strömen mehr in eine Halle als in einen Zuschauerraum. Zum anderen erhält der Zuschauer Haselnüsse. Denn sie sind für das anstehende Stück elementar. Es wird schnell klar, der Abend hält keinen gewöhnlichen Theaterbesuch bereit – es ist vielmehr ein interaktives Theaterexperiment.
Ist die Welt noch zu retten?
Im Fokus stehen nämlich die Frage nach den “Grenzen des Wachstums” und die Suche nach Alternativen. Entsprechend bewirbt das Oldenburgische Staatstheater das Theaterstück: “Können wir den Klimawandel noch stoppen, das Finanzsystem reformieren, die Zukunft unserer Kinder garantieren und globale soziale Gerechtigkeit herstellen? Kurz gesagt: Ist die Welt noch zu retten?”
Auf der Suche nach Antworten ist das Publikum kein passiver Beobachter eines Schaustücks, das zuvor von Kreativen verfasst und von Schauspielern umgesetzt wird. Der Zuschauer ist mittendrin. Er ist vielmehr wesentlicher Akteur des interaktiven Theaterstücks, dessen Verlauf er mitgestaltet. Seine Aufgabe ist es, den “Weltuntergang” bzw. den “Doomsday” zu vermeiden. Die Haselnüsse, die es beim Eintritt erhalten hat, sind eine Art Zahlwährung, die man in diversen Spielen einsetzen, dabei Nüsse verlieren oder dazugewinnen kann.
Zukunftsfestigkeit und Postwachstum als Szenario
Ziel des Theaterexperiments ist es, die Lebensweise und die Zukunftsfestigkeit unserer Gesellschaft in der Gegenwart zu hinterfragen und über neue Wirtschafts- und Produktionsformen sowie Konsumgewohnheiten nachzudenken. Utopoly will dabei “Planspiel, Schauspiel, Gesellschaftsspiel und Rollenspiel” sein, in dem die Zuschauer „groß“ über die eigene Zukunft denken sollen. Aber macht es überhaupt Sinn und funktioniert es denn auch!?
Das Theaterexperiment stößt am Eduard Pestel-Institut, dessen Gründer federführend am Club of Rome und der Veröffentlichung der “Grenzen des Wachstums” mitgewirkt hat, auf positive Resonanz. “Solche Theater-Projekte sind ein sehr aussichtsreicher Impuls der Kunst- und Kulturschaffenden in Zusammenwirkung mit Wissenschaftlern.”, resümiert Andrea Steckert vom Pestel-Institut. “Die Lern-Atmosphäre aus Spaß, Spiel und Erprobung führt zu einer hohen Aufnahmebereitschaft und bewirkt einen nachhaltigen Denkanstoß über die Veränderung der eigenen Lebensweise und eine personenbezogene Suffizienz-Strategie beim Publikum.”
Erlebnisorientierte Szenarien über Transformation
Utopoly der Theatergruppe “Fake to pretend” ist außergewöhnlich aber erfreulicher Weise nicht einmalig. Es reiht sich in die Entwicklung interaktiver Theater-Formate ein. Andrea Steckert erinnert an das Theaterprojekt “Weltklima-Konferenz” des Theater-Kollektivs “Rimini Protokoll” am Deutschen Schauspiel Hamburg.
Es ist eines der Vorreiterprojekte, welches auch während der Internationalen Klimakonferenz 2015 in Klimaschutz-Kulturforen aufgegriffen wurde, die vom Pestel-Institut durchgeführt wurden (siehe auch ICCA 2015 – Broschüre, S. 38/39 – PDF). Den Theaterprojekten ist gleich, dass sie dem Publikum in greifbaren und erlebnisorientierten Szenarien und Rollenspielen wissenschaftliche Erkenntnisse zu gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationsprozessen vermitteln möchten. Eigentlich wollen sie mehr: die Teilnehmer zur Entwicklung eigenen Handelns inspirieren.
So ist ein wesentliches Motiv der Macher von Utopoly, der Alternativlosigkeit Alternativen aufzuzeigen. Konzepte wie Postwachstumsökonomie und Postwachstumsgesellschaft sind keine abstrakten Konzepte dabei. “Diese interaktiven Theaterformate sollten weiterentwickelt und erprobt werden.”, findet Steckert. “Ich erwarte, dass sich in der Theaterlandschaft in Zukunft dazu noch eine Menge tun wird.”