Megakonzern oder Staat: Wer ist böse?

In den 1980er Jahren war die Furcht vor transnationalen Megakonzernen groß, die aus Profitgier Staaten unterwandern. Heute gibt es diese Megakonzerne, aber sie sind nicht das Problem. (Foto: Andreas Habich)  

Carlos Slim Helú ist ein mexikanischer Industriemagnat und einer der reichsten Männer der Welt. Das Magazin “Forbes” bezifferte sein diesjähriges Vermögen auf 77,1 Milliarden Dollar und wählte ihn nach Bill Gates auf Platz zwei der reichsten Menschen auf der Welt. Beeindruckender aber ist, dass die Holdinggesellschaften Slims mehr als 5% der Wirtschaftsleistung seiner Heimat Mexiko ausmachen.

Es geht beeindruckender. Es existieren Unternehmen, die den Bruttoinlandsprodukt (BIP) der meisten Länder dieser Welt mehrfach übertreffen. Ein solcher Gigant ist Apple. Mit 636.563.000.000 Dollar übertrifft das Unternehmen die BIPs von Ländern wie Belgien, Schweden, Schweiz oder Österreich. Sein Anteil an der BIP der Welt liegt damit bei 0,8%.

Apple ist nicht das einzige Beispiel: Google (508.122 Dollar), Microsoft (429.47 Dollar), Exxon Mobil (336.782 Dollar), Amazon (303.669 Dollar) und Facebook (294.412 Dollar) – sie alle übertreffen wie Apple die BIPs vieler Länder. Sie besitzen offensichtlich ein riesiges und beeindruckendes Vermögen. Sind sie auch mächtig?

Transnationale Megakonzerne mächtiger als Staaten

In den 1980er Jahren kursierte nicht nur in Science Fiction sondern auch in Gewerkschafts- und sozialistischen Bewegungen dieser Welt die Vorstellung, dass transnationale Megakonzerne mächtiger als Staaten werden. Ihre Eigentümer und Vorstandssprecher werden ihr Reichtum und Macht nutzen, so die Annahme, um ihre Regierungen und Gesetze zu ihrem Vorteil zu unterwandern. Privatisierung war dabei ein Horrorszenario.

Um ihre Macht und ihr Reichtum noch mehr anzuhäufen, zwingen die Konzerne Staaten dazu, Hoheitsaufgaben wie Polizei und Militär zu privatisieren. Auf dieser Grundidee baut der Science Fiction-Klassiker “Robocop” aus den 1980er Jahren auf. Keine andere Filmfigur stand für die Ängste dieser Generation.

30 Jahre später sind Konzerne wie Apple, Microsoft, Google und Facebook reicher als viele Staaten dieser Erde. Sind sie auch mächtiger geworden?

Kontrollstaat: “…aus Schwarzen Budgets gespeisten Maschinerie”

Die Skandale rund um die Enthüllungen zu den Abspähaktionen der NSA haben gezeigt, dass die Megakonzerne bei weitem nicht über den gierigen und profitgetriebenen Machtwillen besitzen, wie man sie in den 1980er Jahren noch angenommen hat.

Im Gegenteil, Megareiche wie Bill Gates stiften einen überwältigen Teil ihres Vermögen wohltätigen Zwecken rund um die Welt. Mark Zuckerberg hat anlässlich der Geburt seiner Tochter angekündigt, dass er 99% seiner Anteile an Facebook für karitative Zwecke im Laufe seines Lebens spenden wird.

Stattdessen hat sich ein anderes Monstrum aufgetan: der Kontrollstaat. Der Staat, der noch vor 30 Jahren vor den Konzernen zu schützen galt, ist selber zu einem fragwürdigen, eigentlich mehr zu einer indifferenten weil intransparenten Akteur geworden.

In seinem Feuilleton-Beitrag für die F.A.Z. schreibt der Schriftsteller Günther Hack: “Der schiere Umfang der aus Schwarzen Budgets gespeisten Maschinerie, die Raffinesse, mit der sie sich von den Kontrollmechanismen des demokratisch verfassten Rechtsstaats abzukoppeln verstand, überraschte auch hartgesottene Beobachter der Szene.” In der Tat.

Der intellektuelle Unterbau schafft nur ein öffentliches Bewusstsein

Unter Schlagwörtern wir Big Data, Cloud Computing, Internet der Dinge oder Industrie 4.0 stellt sich des Weiteren die Frage nach den Rechten der Bürger, ihre Hoheit über ihre eigene Daten und damit verbunden auch die Frage nach ihrer Souveränität in einer offenen Gesellschaft. Hack fordert daher Wissenschaftler, Programmierer und im Besonderen die Science Fiction-Schriftsteller auf, ein Gegenentwurf zum Kontrollstaat aufzustellen.  

Dieser intellektuelle Unterbau mit seinem gehäuften kulturellen Kapital kann allerdings nur der Anfang sein. Er schafft ein öffentliches Bewusstsein für die Probleme und möglichen Gefahren. Der von Hack postulierte Gegenentwurf muss durch eine gesellschaftliche Bewegung getragen werden. Die politische Idee des Liberalismus empfiehlt sich dafür.

Grundpfeiler des Liberalismus: Staatsskeptizismus und Emanzipation des Einzelnen

Denn zu seinem Gründungsmanifest gehört sowohl der Skeptizismus gegen die Obrigkeit als auch die Emanzipation des Einzelnen als programmatischer Kontrast zum Kollektivismus. Doch diese Idee hat zwei Probleme: Zum einen wächst in Europa die Zustimmung für despotische Kräfte.

Der Sieg der rechtsextremen Front National bei den französischen Regionalwahlen zeigt das Ausmaß dieser Entwicklung. Ein Blick in alle europäischen Länder bestätigt diese Entwicklung – einschließlich in Deutschland. Liberale Parteien bleiben dabei oft auf der Strecke.

Zum anderen darf gezweifelt werden, ob die multioptionalen, vernetzen Herausforderungen einer wissensbasierten und digitalen Netzwerkgesellschaft, zu dieser sich westliche Industrienationen entwickeln, mit einer hierarchisch-aufgebauten, fordistische Parteienstruktur bewältigt werden können.

Vision der Piratenpartei war richtig, die Vision der FDP ist bürgerlich-naiv

An diesem Widerspruch ist die Piratenpartei gescheitert. An diesem Widerspruch wird aller Voraussicht nach auch die FDP scheitern – unabhängig davon, ob sie in zwei Jahren in den Bundestag wieder einzieht oder nicht.

Um einen gesellschaftspolitischen Gegenentwurf zum Kontrollstaat zu realisieren, muss auf die Forderung Hacks nach einer Allianz aus Wissenschaftlern, Programmierern und Schriftstellern eine parteienunabhängige Plattform herausbilden, auf der liberale Kräfte jenseits parteipolitischer Färbung sich organisieren und bewegen können.

Die Vision der Piratenpartei war richtig, ihr organisatorischer Unterbau naiv. Der organisatorische Unterbau der FDP ist solide, ihre Vision aber sehr verkürzt und oft bürgerlich-naiv. Derweil wird in der Bevölkerung die Sehnsucht nach einer starken Führungsperson immer größer. Europa und Deutschland brauchen dringend einen neuen Liberalismus – gegen Despotie und für Innovation.