Bevölkerungsstatistiken sind dazu da, der Politik bei der Infrastrukturplanung zu helfen, für Hersteller von Konsumdienstleistungen Anhaltspunkte für Marktstrategien zu geben und für Sozialwissenschaftler Befunde bereit zu stellen, die zu weiteren Analysen einladen. Nicht selten werden dabei Erkenntnisse frei, die man nicht erwartet hat. (Foto: Ralf Hücks)
Eine solche Gelegenheit bietet die Sozialstruktur der Bevölkerungsstatistik von Dortmund, einer der bedeutenden Städte im östlichen Ruhrgebiet. Dabei muss man nicht unbedingt eine Fachfrau oder ein Fachmann sein, um die Statistik zu finden und zu verstehen. Meine persönliche Neugier hat mich dazu getrieben, auf der Website der Stadt Dortmund herumzustöbern. Denn ich wollte wissen, wie viele Menschen welchen Alters in Dortmund leben und wieviele Geburten stattfinden. Als ich die Zahlen dazu gefunden hatte, fiel mir eine andere Besonderheit auf:
Es ist schon lange bekannt: Dortmund hat einen recht hohen Migrantenanteil. Laut Jahresbericht 2013 der Dortmunderstatistik liegt der Migranten-Anteil in Dortmund bei 30,5 Prozent – mehr als 10 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Das sind etwa 177.000 Menschen.
Die Zahl ergibt sich aus ca. 77.000 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und ca. 100.000 Menschen, die als Nicht-Deutsche geboren wurden und nun eingebürgert sind, also als Deutsche mit Migrationshintergrund bezeichnet werden.
Dortmund – Hochburg einer Parallelgesellschaft?
Das Klischee besagt, dass (fast) alle Migranten auf “einem Fleck” leben, da Menschen mit ausländischen Wurzeln ethnische Kolonien bilden würden. Trifft das auf Dortmund zu?
Auf den ersten Blick schon: Mit einem Ausländeranteil von 41,4 Prozent bildet der Bezirk “Innenstadt-Nord” die Spitze dieser Statistik (siehe Abbildung unten). Menschen, die Dortmund kennen, wird das nicht wundern. Nimmt man die Deutschen mit Migrationshintergrund hinzu, haben oder hatten hier 65,2 Prozent der Bewohner einen ausländischen Pass. Umgekehrt bedeutet das, dass nur jeder dritte Einwohner in der Innenstadt-Nord in einem deutschen Haushalt aufgewachsen ist.
Die Ausländeranteile der übrigen Stadtbezirke hingegen nehmen rapide ab: die Nachbarbezirke im Norden, Süden und Westen haben nicht einmal mehr einen halb so hohen Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung, wie die Grafik veranschaulicht. Der Innenstadt-Nord folgt der Bezirk Eving mit gerade einmal 17,7 Prozent Ausländeranteil. Schlusslichter bilden die Stadtteile Aplerbeck und Brackel mit unter 7 Prozent. Damit liegen Sie unter dem bundesdeutschen Schnitt von 9 Prozent.
Eingebürgerte Migranten verteilen sich “stärker” über ganz Dortmund
Nach der “alle-auf-einem-Fleck-Theorie” müssten nun die Deutschen mit Migrationshintergrund sich ebenfalls “ethnisch vergemeinschaften”. Oder anders formuliert: Wo ausländische Staatsbürger am meisten leben, leben Deutsche mit Migrationshintergrund genauso häufig. Das ist aber nicht der Fall!
Nimmt man nur die eingebürgerte Bevölkerung mit Migrationshintergrund, liegt ihr Anteil im Stadtbezirk Scharnhorst mit 26,4 Prozent unter allen Stadtteilen am höchsten. Erst an zweiter Stelle darauf folgt mit 23,8 Prozent die Innenstadt-Nord und streut ansonsten sehr stark über alle anderen Stadtbezirke. Der Anteil der beiden Gruppen, also Deutsche mit Migrationshintergrund und ausländische Bevölkerung zusammengerechnet, pendeln sich darüber hinaus für Scharnhorst, Eving, Innenstadt-West, Mengede und Huckarde recht konstant bei 30 Prozent ein. Das heißt, hier wohnen Menschen mit ausländischen Wurzeln zu ca. einem Drittel mit Menschen aus ursprünglich deutschen Haushalten zu zwei Drittel-Anteilen zusammen, was dem städtischen Gesamtdurchschnitt entspricht.
Dortmunder Statistiken werfen weitere Fragen auf
Wie oben angeführt, laden Statistiken zu weiteren Analysen ein und eröffnen neue Fragen. Mir stellen sich eine ganze Reihe von Fragen: Warum gibt es eine so extreme Hochburg in der Innenstadt-Nord an Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit? Warum fallen diese Werte für die eingebürgerten so rapide herab und verteilen sich gleichmäßiger auf viele andere Stadtbezirke? Ziehen diejenigen aus der Nordstadt um, die sich etwa etablieren konnten, da der die Innenstadt-Nord ein armer Bezirk ist? Dient die Innenstadt-Nord als “Auffangbecken” für Neu-Eingewanderte, von dort sie innerhalb Dortmund weiterziehen, wenn sie einen sozialen Aufstieg erlebt haben?
Warum verteilen sich Frauen mit Migrationshintegrund anders als die Männer?
Noch interessanter wird es, wenn man die Geschlechterverteilung genauer betrachtet: In Stadtteilen mit niedrigem Ausländeranteil überwiegen zahlenmäßig die Frauen (Scharnhorst 52 Prozent, Aplerbeck 53 Prozent Migrantinnenanteil) bei der Bevölkerung mit ausländischer Herkunft. Nur in der “ausländischen Hochburg”, der Innenstadt-Nord, überwiegt der Männeranteil an der ausländischen Bevölkerung (53,4 Prozent).
Wie kommt eine solche Geschlechterverteilung zustande? Etablieren sich Familien mit Frauen besser und ziehen in andere Stadtteile als die Innenstadt-Nord? Oder kommt die Innenstadt-Nord insgesamt für Migrantinnen als Wohnquartier nicht in Frage?
Um diese Fragen mit wissenschaftlichem Anspruch beantworten zu können, müssen weitere Untersuchungen durchgeführt werden. Dafür gibt es in der Sozialwissenschaft und Sozialforschung eine ganze Reihe von Instrumenten. Mittels der Biografieforschung kann man beispielsweise ermitteln, ob Frauen tatsächliche eine wichtige, ja treibende Rolle haben, wenn Familien sich in der Stadtgesellschaft etablieren. Man könnte die amtlichen Statistiken um sozialräumliche Indikatoren erweitern und ergänzen, so dass man den Etablierungsprozess von Einwanderern besser nachvollziehen kann.
Es gibt keine Parallelgesellschaft – nirgends.
Auf jeden Fall zeigen amtliche Statistiken für Dortmund jetzt schon, dass man sich zum einen von der Idee einer Parallelgesellschaft endgültig verabschieden muss. Die Daten lassen die begründete Annahme zu, dass ausländische Staatsbürger ihr Migrantenviertel verlassen, wenn sie die Möglichkeit dazu über Jahre der Etablierung aufgebaut haben oder erst gar nicht hinziehen, wenn sie auch woanders, in einem reicheren Viertel, wohnen können.
Im Übrigen – mich hatte ja am Anfang eine ganz andere Frage angetrieben, die Bevölkerungsstatistik in Dortmund zu suchen. Dieser zufolge werden jedes Jahr ca. 4.800 Kinder geboren. Die Stadtteile mit den höheren Migrantenanteilen haben eine jüngere Bevölkerung. Das sind allerdings Zahlen, die weitere Fragen aufwerfen, über die man gesondert nachdenken sollte.
Warum erstellen immer nur die Ausländer oder „Deutschen mit Migrationshintergrund“ (was ist das eigentlich?) solch Artikel. Wer einmal nach 19:00 durch die Nordstadt geht, der wieß, dass dort eine absolute Parallelgesellschaft lebt.
Sowohl die deutsche Sprache wie auch kulturelle Werte, Sitten und Gebräuche sind dort nicht auffindbar. Seid ruhig, Deutsche, es ist gar nicht so schlimm? Mitnichten. Es ist noch viel schlimmer!
Das sehe ich ähnlich, diese Untersuchungen werden zuviel aus DrausichtPosition erstellt, für relevante Studien muß man sich sehr intensiv mit den Menschen+ ihren Lebensweisen befassen- über einen längeren Zeitraum. Dann eröffnen sich Einblicke und wir erhalten Informationen, die realitätsnah sind. Und – auch weggezogene Ausländer bleiben zum Teil sehr intensiv unter sich !