Die Zukunft von Städten und Gemeinden: Was hab ich damit zu tun?

Früher versuchten Trend- oder Zukunftsforscher, die Zukunft genau vorherzusagen. Dafür verwendeten sie meist Rechenmodelle mit vielen veränderbaren Faktoren, so genannten Variablen. Heute sprechen solche Forscher von einer seitdem gestiegenen Komplexität und verabschiedeten sich von Rechenmodellen, heute werden Denkmodelle entwickelt. Ergebnis solcher Denkmodelle sind Entwicklungskorridore zwischen der besten und schlimmsten Entwicklung, neudeutsch Best-Case und Worst-Case. (Foto: Pesthel-Institut)

 

– von Dieter Behrendt

 

Diese Korridore sind im nächsten Jahr schmal, in zehn Jahren breit und in 20 Jahren sehr breit: die Unsicherheit wächst mit der Zeitspanne. Das verunsichert viele Menschen, denn jeder sucht nach Sicherheit und nach einfachen Rezepten. Wie soll ich es in Zukunft halten? Wie soll ich mich trotz Unsicherheit entscheiden? Was kann ich vor Ort tun? Wer sich diese Fragen stellt, sollte wissen, was der beste und schlimmste Fall ist. Und er sollte auch darüber nachdenken, was jeder vor Ort tun kann, um sich auf die Zukunftsmöglichkeiten einzustellen. Vor Ort bedeutet, im Dorf, im Stadtteil, in der Stadt und in der Region.

 

Wie sieht die Zukunft aus? – Der schlimmste Fall

 

Eine der früheren Vorhersagen der Forscher zur Entwicklung der Erde lag bislang richtig. Diese Studie entwickelte ein Weltmodell mit wenigen Variablen und prognostizierte die Entwicklung der Erde für 100 (!) Jahre: Die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome aus dem Jahr 1972 wurde weltberühmt. Eine Überprüfung dieser Prognose im Jahr 2008 bestätigte die Ergebnisse für die Zeit von 1972 bis 2008, so dass plausibel erscheint, wie sich die Erde bis 2072 entwickelt. Demnach werden alle Menschen auf der Erde so viel Energie und andere Rohstoffe verbrauchen, dass es – von heute gerechnet – in 50 – 60 Jahren zu einem Zusammenbruch der Weltwirtschaft und der nationalen Gesellschaften kommen wird. Viele aktuelle Studien – auch von Unternehmensberatungen – kommen zum selben Ergebnis. Der Ökonom und Philosoph Serge Latouche fasste dies in einem bemerkenswerten Satz zusammen: „Wer in einer begrenzten Welt an unbegrenztes Wachstum glaubt, ist entweder verrückt oder Ökonom“. Doch bevor das weitere Wachstum der Weltwirtschaft ein solches Ergebnis produziert, wird der Verbrauch insbesondere von fossilen Energierohstoffen (Kohle, Öl und Erdgas) einen sich selbst verstärkenden Klimawandel auslösenden, der zu weltübergreifenden Krisen führt. Dies ist das Ergebnis einer weiteren Studie des Club of Rome aus dem Jahr 1992: „Die neuen Grenzen des Wachstums“.

Diese Zukunftsaussichten sind nahezu allen Politikern und Wirtschaftslenkern bekannt, sie werden jährlich auf dem Weltwirtschaftsforum im Schweizer Bergkurort Davos diskutiert. Und in Vorbereitung auf die Davos-Konferenz wählen über 1500 dieser Politiker und Wirtschaftslenker das Risiko des Jahres: In 2013 wurde das weltweite Auseinanderdriften von arm und reich gewählt. Und viele dieser Personen bereiten sich, ihre Staaten und ihre Unternehmen auf eine solche schlimmste Entwicklung vor, unbemerkt von der Bevölkerung.

 

Wie sieht die Zukunft aus? – Der beste Fall

 

Der beste Fall, und das sehen auch die Wirtschaftsberatungen in ihren Studien so, ist eine Entwicklung, die die Prinzipien der Nachhaltigkeit einhält. Das heißt, Unternehmen und Staaten (Nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2002) müssen so handeln, dass die Energierohstoffe und alle anderen Rohstoffe so genutzt werden, dass es nicht zu einem kompletten Verbrauch kommt, zum Beispiel durch verstärktes Recycling (Recyclingstrategie der Bundesregierung), durch einen Schwenk auf erneuerbare Energien (Energiewende) und einen Umbau der Rohstoffversorgung auf so genannte biogene Rohstoffe (BioÖkonomie-Strategie der Bundesregierung). Biogene Rohstoffe sollen in Zukunft von der Land- und Forstwirtschaft erzeugt werden, bei gleich bleibendem Anbau von Nahrungsmitteln. Die genannten Strategien zielen auf eine steigende Unabhängigkeit der deutschen Unternehmen vom Weltmarkt, eine steigende Unabhängigkeit von steigenden Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisen, die mit Krisen einhergehen.

Vom Ertrag und nicht von der Substanz leben ist die Devise, damit alle nachkommenden Generationen auch so leben können wie wir heute. Und das ist keinesfalls unmöglich: Mit Phantasie, Kreativität und technisches Know-how kann es zu einem Umbau der Wirtschaft und der Gesellschaft kommen, so dass umweltverträgliche und ressourcensparende Produktions- und Konsummuster normal werden. Der regelmäßig erscheinende Nationale Nachhaltigkeitsbericht ergab in diesem Jahr, dass die meisten der 21 dort betrachteten Produktions- und Lebensbereiche sich in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln. Ob eine solche Entwicklung auch weltweit ablaufen kann, weiß hingegen niemand. Immerhin unterzeichneten mit der „Agenda 21“ über 170 Staaten das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung national in allen Politikbereichen unter Beteiligung von Gesellschaft und Wirtschaft umzusetzen. Auch Deutschland hat unterzeichnet.

 

Was kann ich vor Ort für die Zukunft tun?

 

Der Klimawandel wirkt im heimischen Wettergeschehen und damit gehen Risiken für Haus und Hof und Menschen einher: die in den letzten Jahren ansteigenden Schadenszahlen der Versicherungen zeigen dies sehr deutlich. Jeder sollte überlegen, welche Maßnahmen er durchführen kann, um die größten Schäden zu vermeiden: Viele Versicherungen drängen bereits auf eigene Aktivitäten zur Schadensvermeidung, ansonsten droht in Zukunft das Erlöschen des Versicherungsschutzes.

Die Risiken für Haus und Hof resultieren zum einen aus Planungsentscheidungen der Stadt oder Gemeinde, zum anderen aus der Planung des Hauses durch den Architekten. Bei Planungsentscheidungen der Kommune gibt es immer eine Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung, die wahrgenommen werden sollte. Meist sind Beteiligungsmöglichkeiten im Amtsblatt oder in den amtlichen Nachrichten versteckt, manchmal gibt es darüber Berichte im redaktionellen Teil der örtlichen Zeitung. Stichwörter sind hier die sperrigen Begriffe ‚Regionale Entwicklungskonzepte‘, ‚Integrierte Stadtentwicklungskonzepte‘, ‚Flächennutzungsplan‘ und ‚Bebauungsplan‘.

Um Enttäuschungen in Beteiligungsverfahren vorzubeugen, ist es hilfreich, zu wissen, dass Beteiligung nicht Entscheidung heißt. Denn Entscheidungen treffen müssen die gewählten Volksvertreter, das Prinzip der repräsentativen Politik, in der wir leben. Ausnahmen hiervon sind Volks- oder Bürgerentscheide, die auf der kommunalen Ebene und manchmal sogar auf der Ebene des Bundeslandes möglich sind.

Anzusprechen sind innerhalb von solche Beteiligungsverfahren Maßnahmen zur Verringerung möglicher Schäden für Hab und Gut und Gesundheit, die durch extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Hochwasser, Hitze, Hagel oder Sturm entstehen können. Nachzufragen ist nach der möglichen Betroffenheit von solchen  Ereignissen: Liegt das Haus oder die Wohnung beispielsweise in einem Hochwassergebiet, welche Maßnahmen können schützen, was davon plant die kommunale Verwaltung, was kann jeder auf dem eigenen Grundstück durchführen, damit beispielsweise der Keller bei Starkregen vor Überflutung geschützt ist. Zu fragen ist auch, war jeder Einzelne tun kann, damit die Familie Hitzeperioden gesund übersteht, was gegen Hagel oder Sturm schützt und so fort. Zu fragen ist auch der Architekt bei der bei der Planung des eigenen Hauses, ob die Wirkungen des Klimawandels berücksichtigt werden.

Im Verhältnis zur möglichen direkten Betroffenheit durch extreme Wetterereignisse sind andere Wirkungen der Zukunft schwieriger zu erkennen: Das gilt für den Bürger wie für die kommunale Verwaltung und Politik, dies gilt auch für Unternehmen. Denn die Wirkungen des weltweiten Klimawandels können auch die Wirtschaft in der Kommune und damit jeden einzelnen Arbeitsplatz treffen, denn die Unternehmen sind durch Zuliefer- und Absatzbeziehungen weltweit eng miteinander verzahnt. Neben dem Klimawandel kann auch der weltweite Anstieg der Bevölkerungszahl zu negativen Entwicklungen führen, zum Beispiel zu steigenden Nahrungsmittel- und Rohstoffpreisen. Der Klimawandel verstärkt die Ausbreitung von Krankheiten (Epidemien), Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie Energie- und Rohstoffversorgungskrisen drohen. All dies droht zeitgleich mit einer weltweiten Abnahme von fruchtbaren Böden und Pflanzen bestäubender Arten, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Ernten. All dies kann auch zu politischen Krisen (Krieg, Bürgerkrieg, Massen- oder Generalstreik, Unruhen) führen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Diese Wirkungen auf die Wirtschaft können das Unternehmen im Heimatort treffen, durch Ausfall von benötigten Vorprodukte und Rohstoffe oder durch den Wegfall von Märkten. Damit sind Arbeitsplätze gefährdet: die wirtschaftliche Basis des Bürgers und der Kommune.

Jeder Bürger sollte seinen Arbeitgeber fragen, in welcher Art und Weise das Unternehmen angewiesen ist auf importierte Güter oder exportierte Produkte, ob und welches Risikomanagement existiert (dies gilt nur für größere oder große Unternehmen). Zu fragen ist, ob das Risikomanagement neben berechenbaren Risiken auch nicht-berechenbare Risiken betrachtet, die bereits genannt wurden.

Bei Großunternehmen werden diese Fragen nach einem ‚guten‘ Risikomanagement bereits gestellt: Ratingagenturen treffen ihre Entscheidung auf dieser Basis, die Entscheidung zur Kreditvergabe von Banken oder Anlageentscheidungen (Aktien, Fonds) von großen Investoren sind zunehmend abhängig von der Zukunftsvorsorge ihres Arbeitsgebers. Der Arbeitsplatz ist unter Umständen abhängig davon, ob solche Krisen für das Unternehmen vorgedacht und Anpassungsmaßnahmen diskutiert werden.

Neben der Vermeidung der Folgen einer negativen Entwicklung steht das Unterstützen einer positiven, einer nachhaltigen Entwicklung. Die Hauptmöglichkeiten zur Verringerung des Energie- und Rohstoffverbrauchs sind: weniger Fleisch essen, weniger Nahrungsmittel wegschmeißen (Beim Einkaufen nachdenken), möglichst ausschließlich Bus und Bahn nutzen, Öko-Strom beziehen (teilweise günstiger als herkömmlicher Strom), mehr ins Recycling geben und darüber nachdenken, was wirklich gebraucht wird.

Die Gestaltung der Zukunft ist möglich: Notwendig ist Beteiligung und Einmischung aller Bürger, wenn es um ihren Wohnort, um ihr Haus und Grundstück geht. Notwendig ist Handeln beim Einkauf. Wenn die Entscheidung für Beteiligung und weniger Verbrauch nicht getroffen wird, dann wird es in jedem Fall Fehlentwicklungen geben, denn eine nicht getroffene Entscheidung ist eine Entscheidung. Und um mit dem Altmeister Goethe zu sprechen „Über ein Ding wird viel geplaudert, viel beraten und lange gezaudert und endlich gibt ein böses Muss der Sache widrig den Beschluss.“

Krisen kommen meist langsam und zeichnen sich ab. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist groß. Diese beiden Aussagen zeigen, dass vieles vorgedacht werden kann und vieles an Anpassung möglich ist. Notwendig ist nur, darüber nachzudenken, zu reden und zu beschließen. Und Lösungen können in Gesprächen gefunden oder recherchiert werden, denn Lösungen existieren rund um den Globus: Alles, was vorstellbar ist, ist real (Pablo Picasso). Das Kopieren von Lösungen und das Vorstellen einer positiven Zukunft sind die grundlegenden ‚Tätigkeiten‘ für eine Entwicklung, die den positiven Pfad des aufgezeigten Entwicklungskorridors einschlägt. Denn alles, was vorstellbar, kann existieren.

Dieter Behrendt ist Diplom-Geograf mit Schwerpunkt Wirtschaftsgeografie und forscht am Eduard Pestel Institut in Hannover, einem interdisziplinären Forschungsinstitut, das sich auf die Analyse bestehender Systeme und deren Weiterentwicklung spezialisiert hat. Dazu zählt u.a. die Herausarbeitung der wirt- schaftlichen Bedeutung von Unternehmen für ihre Region sowie die Analyse von Kommunen und Landkreisen und Szenarienerstellungen der künftigen Entwicklung, besonders für den Bereich der Wohnungsmärkte.