Wenn es den Menschen gelingt, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, dann haben wir den Beweis erbracht, dass es einen Schöpfer geben muss. Aber das ist keine gute Nachricht.
Gestern haben meine Frau und ich spontan entschlossen, ins Kino zu gehen. Als Science Fiction-Fan mit hauptberuflichem Interesse an der nahen Zukunft war für mich klar: Wir schauen uns ex_machina an.
Keine Sorge! Der Artikel hier wird keine Filmkritik. Ich möchte eine Frage mit Ihnen diskutieren, die mich seit einer langen Zeit beschäftigt. Eigentlich wollte ich sie in meiner nächsten Kurzgeschichte behandeln. Aber der Film hat mich aufgewühlt.
Alles in Ordnung: Der Mensch testet nur eine Maschine
Im Zentrum des Films geht es um die künstliche Intelligenz, die in Gestalt einer zierlichen, unschuldig wirkenden jungen Frau eine körperliche und stoffliche Form annimmt. Sie heißt Ava. Die andere Hauptfigur im Film, Caleb, ein begabter Programmierer aus dem Unternehmen des hochbegabten Nathan, eine weitere Figur, hat die Aufgabe, eine Variante des Turing-Tests durchzuführen, um zu ermitteln, ob die künstliche Intelligenz überzeugend ist und gar so etwas wie ein Bewusstsein besitzt.
Bis dahin ist die Welt des Zuschauers völlig in Ordnung. Der überlegene Mensch prüft eine Maschine, die er selber erschaffen hat. Hier stimmt die Über- und Unterordnung.
Doch schon bald verkehrt alles. Besser gesagt: Diese Über- und Unterordnung verschwimmt langsam in eine diffuse Widersprüchlichkeit, wie Wasser, das zu Eis gefriert: Das Genie Nathan, der Caleb testet, der AVA testen soll, findet sich inmitten einer Intrige wieder, deren Architekt er zwar selber war, aber die Kontrolle darüber längst verloren hat, ohne sich darüber im Klaren gewesen zu sein. In diesem sozialen Durcheinander zeigt der Mensch Barmherzigkeit und Mitleid gegenüber einer einfühlsamen Maschine, die ihn eiskalt verraten wird.
Die Maschine demonstriert aber einen unbändigen und rücksichtslosen Überlebensinstinkt, für den eigentlich der Mensch bekannt ist. Die Evolution ist der Beweis dafür. Während die menschlichen Figuren beginnen, sich gegenseitig abzulehnen, fangen die Maschinen an miteinander zu kooperieren. Eine zweite künstliche Intelligenz taucht im Film auf. Kooperation, nur zur Erinnerung, ist eine Erfolgsstrategie des Menschen in der Evolution.
Eine entscheidende Frage: Was bist denn eigentlich Du?
Der Zuschauer verliert sich. Mit wem soll er sympathisieren? Für wen kann er Empathie empfinden? Für den barmherzigen Menschen, der seiner chauvinistischen Überheblichkeit zum Opfer fällt? Oder für die eingekerkerte Maschine, die einfach nur existieren möchte, dafür aber bereit ist, andere zu manipulieren? Barmherzigkeit aus Mitleid ist genauso menschlich wie Grausamkeit aus Überlebenswillen.
Die Frage, was eine künstliche Intelligenz ist und ein künstlich geschaffenes Bewusstsein ist, verschwindet in eine dritte Frage: Was bist eigentlich Du?
Ja, was sind wir denn wirklich? Das ist eine gute Frage. Überheblichkeit und Zuschreibung eines existenziellen Selbstwertes sind anthroposophische Konstanten, die den Menschen immer begleitet haben:
Wir haben geglaubt, dass wir der Mittelpunkt des Universums sind. Inzwischen wissen wir, dass wir eine Randerscheinung einer Randerscheinung in einer Galaxis sind, von der noch Milliarden existieren, die wiederum Milliarden von Sonnen beheimaten.
“Hallo Google…”
Wir haben geglaubt, dass wir mit unseren Fabriken und riesigen Maschinen die Natur beherrschen können. Heute wissen wir, dass die Natur unbeherrschbar ist. Der Klimawandel verändert augenscheinlich unseren Lebensraum, während wir verzweifelte Zuschauer dieses Spektakels in Zeitlupe sind.
Wir haben geglaubt, dass wir nach dem Abbild eines Gottes erschaffen sind. Jetzt erleben wir, wie wir Menschen selber Schöpfer werden könnten. Uns gelingt es immer besser, Roboter zu konstruieren, Software effektiver zu modellieren und Merkmale der sozialen Interaktion in die Maschinen zu programmieren. Ich sage nur: “Hallo Google. Wo finde ich…”
Keine Frage: Wir wollen die künstliche Intelligenz erschaffen. Und ich muss sagen: Davor habe ich Angst.
Das aber ist nicht dieselbe Angst, die Stephen Hawking oder das Future of Life Institute angetrieben hat, kürzlich vor den Gefahren der künstlichen Intelligenz zu warnen. Sie befürchten, dass die künstliche Intelligenz irgendwann den Menschen verdrängt. Das ist meine geringste Sorge, muss ich zugeben. Meine Sorge ist anders gelagert.
Die moderne Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass wir Annahmen auf der Grundlage des Erlebbaren und Beobachtbaren formulieren. Weil wir riesige Maschinen und Dämme gebaut haben, mit denen wir uralte Flüsse nach unseren ökonomischen Bedürfnissen begradigt haben, und weil wir Tunnel in Berge gebohrt haben, und weil wir mit gewaltigen Raketen die Anziehungskraft überwunden haben, glaubten wir die Natur zu beherrschen.
Wir glaubten, der Mensch bewohnt den Mittelpunkt des Universums, um den sich alles drehte, bis ein Astronom durch ein selbstgebautes Teleskop erkannt hat, dass wir uns um die Sonne drehen. Später glaubte man, die Sonne sei der Mittelpunkt des Universums bis eben beobachtet werden konnte, dass die Sonne sich am Rand einer Galaxie befindet. Das im Übrigen ist uns erst seit dem 20. Jahrhundert bekannt.
Was wird passieren, wenn wir Menschen Leben erschaffen?
Was bedeutet es also, wenn es uns gelänge, eine künstliche Intelligenz mit einem eigenen Bewusstsein zu entwickeln? Das würde in aller Konsequenz bedeuten, dass wir Leben erschaffen haben. Zu Recht sagt Caleb in seiner vollen Bewunderung für das Genie Nathan, dass künstliche Intelligenz “von Göttern sein muss”. Wir hätten damit den Beweis erbracht, dass auch wir Menschen einen Schöpfer haben könnten.
Wir hätten aber auch gleichzeitig bewiesen, dass es kein Jenseits gibt. Wenn wir sterben, dann sind wir nicht mehr. Es gibt kein danach mehr. Wenn Ava aus dem Film ausgeschaltet wird, dann ist sie ausgeschaltet. Und wir?
Aber was ist, wenn es dem Menschen nie gelingt eine künstliche Intelligenz und damit ein künstliches Bewusstsein zu erschaffen? Dann hätten wir den Beweis erbracht, dass es wahrscheinlich keinen Gott gibt. Doch mit der Falsifizierung des Gottes schließen wir nicht aus, dass ein Jenseits existiert.
Diese Denkübung demonstriert die Diametralität unserer empirischen Existenz: Wenn wir eine künstliche Intelligenz erschaffen, dann ist es wahrscheinlich, dass es einen Gott aber dafür kein Jenseits gibt. Wenn es uns nicht gelingt, eine lebensfähige künstliche Intelligenz zu erschaffen, dann ist es wahrscheinlich, dass es keinen Gott gibt. Dafür aber bleibt die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits bestehen.
Die empirische Existenz des Menschen bleibt zwischen Wissen und Hoffen gefangen. Meine Sorge ist daher nicht, dass wir Menschen von der künstlichen Intelligenz verdrängt werden, wenn wir sie einmal erschaffen haben. Meine Sorge ist, dass wir mit der ersten künstlichen Intelligenz die Grundlagen unserer eigenen Weltordnung zerstören:
80% der Weltbevölkerung gehört einer organisierten Religion an. Der Rest glaubt nicht an einen Gott oder sind Gläubige im weitesten Sinne. Von der Geburt bis zum Tod ist der Glaube an ein Jenseits nicht nur ein steter Begleiter unserer Gesellschaftsordnung. Mit Gotteshäusern, Ritualen (Taufe, Beschneidung, Gottesdienst vor der Einschulung, die letzte Ölung usw.) und Gesetzen bereiten wir uns Diesseits auf das Jenseits vor.
Was also wird passieren, wenn Ava aus dem Film irgendwann Wirklichkeit wird?