Die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien hat neue Maßstäbe der Begeisterung für den Soccer innerhalb der amerikanischen Bevölkerung gesetzt. Die Entwicklung wird getragen durch Umdenken im kollektiven Bewusstsein und gesellschaftlichen Wandel. Wächst eine neue Fußballmacht heran? (Foto: rtr)
– von Denis Baro
Die konservative US-amerikanische Vorzeigepopulistin Ann Coulter zeigte sich dieser Tage in ihrer Online-Kolumne wenig euphorisch gegenüber der Begeisterung für Soccer in den USA während der Fußball-Weltmeisterschaft. Fußball sei, wie das metrische System „Gehirnwäsche“ von Liberalen. Außerdem sei der Fußball „kollektivistisch“ und „unmännlich“. Sie ist stellvertretend für das Weltbild vieler amerikanischer Konservativer, welche am „american exeptionalism“, also dem amerikanischen Drang der Alleinstellung und Argwohn gegenüber fremden Einflüssen in diversen Belangen. Dass Frau Coulter vermutlich wenig Fußballspiele in ihrem Leben verfolgt hat, liegt ebenso auf der Hand, wie die Vermutung, dass sie am Sport in erster Linie vor allem eines stört: Er ist nicht amerikanisch!
Dass Fußball großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung nicht mehr fremd und merkwürdig erscheint, hat die kollektive Begeisterung der Amis während der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien gezeigt. 25 Millionen Zuschauer verfolgten das erste Spiel der Nationalmannschaft gegen Ghana an den Fernsehern des Landes. Mehr als beim diesjährigen Finale der Basketballliga NBA und sogar 8 Millionen Zuschauer mehr als beim Gruppenspiel 2010 gegen England. Erstmals organisierten sich sogar Fans auf öffentlichen Plätzen zum Public Viewing, wie wir es seit 2006 in Deutschland kennen. Bis zum unglücklichen Ausscheiden gegen Belgien umwehte also auch die USA ein Hauch von Sommermärchen.
Dabei reicht auch die Tradition des Fußballs in den USA lange zurück. Der 1862 gegründete Oneida Football Club in Boston, Massachusetts wurde zum Beispiel noch vor dem britischen Fußballverband gegründet. 1967 wurden zwei Profiligen eingeführt, nur 3 Jahre nach Gründung der Bundesliga. Diese zog in den 1970ern Stars wie Pele, Cruyff oder Beckenbauer an und die Spiele erfreuten sich hoher Besucherzahlen, doch 1984 musste die Liga aufgrund zu hoher Kosten für die Vereine aufgelöst werden. Erst zur Weltmeisterschaft 1994 in den USA gab es wieder eine Profiliga. Die erwartete große Begeiserung für den Soccer blieb jedoch aus. Der Soccerboom wird mittlerweile seit Jahren prognostiziert. Bereits 1977 schrieb die Washington Post, dass Fußball sich innerhalb der nächsten zehn Jahre zum größten Volkssport des Landes entwickeln würde mit den USA als globales Epizentrum des Sports. In Wirklichkeit wurde die Profiliga kurz danach abgeschafft und von 1984 bis 1994 nur in der Halle betrieben. Außerdem neigt die amerikanische Bevölkerung generell zum Event. So erzielen Sportereignisse enorme Einschaltquoten, wenn die heimischen Football und Basketballligen pausieren. Usain Bolts Sprintrekord auf 100m bei den Olympischen Spielen 2012 verfolgten 32 Millionen Amerikaner. Seitdem ist aus Amerika keine Nation von Hobbysprintern geworden.
Umdenken innerhalb der Gesellschaft und demografischer Wandel beflügeln Trend
Doch die Zeiten, in denen der Fußball als Mädchensport in den USA belächelt wurde sind vorbei. Er scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Gerade in den Großstädten der Ostküste ist Soccer auch zum Teil eines liberalen und alternativen Lifestyles geworden. Man trifft sich an den Wochenenden entweder zum Brunch, guckt dabei die Spitzenspiele der europäischen Ligen und diskutiert über die Taktik von Manchester United, oder man bolzt auf Kleinfeldern nach Feierabend mit Geschäftspartnern. In der New Yorker Hipster- und Yuppieszene ist der Fußball mittlerweile soweit Squash als Statussport abzulösen. Die Gründe warum die Amerikaner den Soccer so lieben sind vielseitig. Sie dürften den Sport jedoch unter anderem aus den Gründen lieben, warum Konservative ihn hassen: Fußball ist ein Bindeglied zum Rest der Welt und repräsentativ für neue gesellschaftliche Entwicklungen in den Staaten. Peter Beinhart, Politologe an der NYU spricht sogar vom „End of American Exceptionalism“. Seit der Wirtschaftskrise gibt es Zweifel innerhalb der Bevölkerung, ob der American Way of Life in manchen Bereichen noch der Beste sei und ob man sich nicht vielleicht von anderen Ländern etwa abschauen könnte. Waren 2002 noch 60% der Amerikaner bei einer Umfrage des Pew Centers der Meinung, dass der amerikanische Weg Probleme zu lösen stets der richtige sei, vertraten 2011 nur noch 49% diese Ansicht. Besonders bei der Bevölkerung zwischen 19 und 28 ist die Skepsis groß geworden. Nur 37% vertreten die Ansicht, dass ihre Kultur den anderen tendenziell überlegen sei. Die Quote ist somit geringer als in der BRD (44%), Spanien (38%) oder Großbritannien (39%). Junge Amerikaner unter 30 befürworteten die Arbeit der Vereinten Nationen um 24% mehr als ihre Landsmänner- und Frauen über 50. Es hat ein kollektives Umdenken stattgefunden und Fußballeuphorie in den USA zeigt also auch dass man mittlerweile realisiert hat nur noch eine Nation unter vielen zu sein. Möglicherweise entdecken die Amerikaner ihre Passion für den Ballsport, weil er ihnen auch etwas vollkommen Neues bietet.
Während in ihren Sportarten das Kompetitive viel mehr im Vordergrund steht, also der Drang immer Erster zu sein, lernt man eine neue Eigenheit des Fußballs kennen: den tragischen Helden. Torwart Tim Howard parierte im Achtelfinalspiel gegen Belgien ganze 16 Großchancen, führte sein Team somit in die Verlängerung um sich dann in der letzten Minute geschlagen zu geben. Seiner Popularität hat das offenbar keinen Abbruch getan. Die sozialen Netzwerke schäumten vor Lobeshymnen und Memes geradezu über.
Die andere große gesellschaftliche Entwicklung erklärend für einen Aufschwung des Fußballs ist die demographische Entwicklung insbesondere der Hispanics in den USA. Als Hispanic gelten alle Menschen, deren ethnische Wurzeln in Kuba, Puerto Rico, Süd- bzw. Mittelamerika oder Spanien liegen. Aus einer Erhebung des statistischen Bundesamtes der USA geht hervor, dass die Anzahl der Hispanics an der Gesamtbevölkerung von zwischen 2000 und 2010 von 13 auf 16% gestiegen ist. Heute gehören ca. 50 Millionen Amerikaner dieser Volksgruppe an. Die Zahl der Kinder hispanischer Herkunft wuchs sogar um 39% auf 17,1 Millionen, während die Zahl der nicht-hispanischen Kinder um zehn Prozent zurückgegangen ist. 2050 könnten bereits 133 Millionen US-Amerikaner und somit mehr als ein Viertel der Gesamtpopulation hispanische Wurzeln haben. Eine Umfrage des Fernsehsenders ABC vor der Weltmeisterschaft zeigt, dass zwar nur 28% aller US-Amerikaner Fußballfans sind, jedoch 45% der Hispanics große Fans sind. Allein im Großraum LA gab es 2013 etwa 95 vom amerikanischen Fußballverband unabhängige Freizeitligen der Hispanics mit jeweils 1000 Spielern pro Liga. In den Jugendakademien der Profiliga Major League Soccer haben bereits 39% aller Spieler einen hispanischen Migrationshintergrund. Einerseits besteht dadurch enormes sportliches Potential, wenn man es effizient schafft diese jungen Sportler in den Leistungssport zu integrieren. Andererseits gibt es dauerhaft sehr wohl einen breiten Teil der Bevölkerung, der sich für Fußball begeistern kann und eine Investition in die Profiliga durchaus Sinn ergibt, da sich wirtschaftlicher Profit generieren ließe. Mit dem aktuellen Nationalcoach der USA Jürgen Klinsmann, hat man jemanden, der sowohl die amerikanische Kultur und Wirtschaft, als auch die Mechanismen des europäischen Fußball kennt. Erfolgreich reüssierte er schon bei dieser Weltmeisterschaft die Söhne von GIs aus der ganzen Welt zu sichten und in die Mannschaft zu integrieren.
Außerdem ist das Fußballspielen gerade bei weißen-nichthispanischen Kindern in den USA sehr beliebt. So lag der Anteil der aktiven Fußballer, bei den 7-11 jährigen im Jahre 2009 bei 35 Prozent und ist damit wesentlich höher als in anderen Sportarten. Der Anteil sinkt aber bei den 18-24 jährigen auf 15 Prozent ab. Fußball scheint demnach in den USA ein Kindersport zu sein. Natürlich sehen Eltern ihre Kinder auch lieber Fußball spielen, als Eishockey oder American Football, wo das Verletzungrisiko ungleich höher ist. Der Begriff der “Soccer Mom”, die ihre Kinder nach der Schule zum Fußballtraining fährt, ist mittlerweile fest verankert im amerikanischen Sprachgebrauch. Wenn man es schaffen würde, diese Kinder dauerhaft im Sport zu halten, stünde das Humankapital für den sportlichen Erfolg quasi in den Startlöchern und könnte konkurrenzfähig sein gegenüber den etablierten Fußballmächten aus Europa oder Südamerika.
Baseball bald Geschichte?
Aus diesen Gründen könnte der Soccer in Zukunft eine nationale sportliche Institution ablösen. Den Baseball. Man kennt es aus Filmen: Der Vater kommt Abends von der Arbeit Heim, zieht den Baseballhandschuh an, wirft ein paar Bälle mit dem Sohnemann im Vorgarten und quatscht über Schule, Freunde, Freundin und Sehnsüchte, wie es schon sein Vater mit ihm tat. Wie der Fußball hierzulande ist Baseball in den USA soziales Bindeglied. Oder wie der Publizist George Will es einst bezeichnete: “das größte Konversationsthema, das Amerika je geschaffen hat.” Es ist der patriotischste amerikanische Sport. Nicht umsonst fand die Trauerfeier zu den Anschlägen des 11. September im Stadion der New York Yankees statt. Familien treffen sich zu den oft vierstündigen Spielen in den Stadion und mampfen Popcorn oder Hotdogs, trinken kühles Lightbeer und reden über dies und jenes. Es ist auch der Sport des American Dream. Einwanderersöhne aus der Bronx, wie Joe DiMaggio oder Babe Ruth haben in etwa den selben Stellenwert, wie Pele und Maradona im Fußball. Mit Jack Robinson spielte 1947 bereits der erste schwarze Spieler in der Profiliga, während im Rest des Landes noch strikte Rassentrennung herrschte. Doch der Sport verliert an Attraktivität. Viele Stadien sind baufällig. Durch die hohe Anzahl der Spiele, verlieren reizvolle Derbies an Bedeutung. Eine Profimannschaft hat bis zu 162 Spiele im Jahr. Die New York Yankees hatten in der vergangenen Saison teilweise 9 Spiele in 10 Tagen und trafen dabei gleich an drei Abenden in Folge auf ihren ärgsten Rivalen aus Boston. Anwurfzeiten unter der Woche am späten Nachmittag tragen zudem nicht zur Beendigung des stetigen Zuschauerrückgangs bei. Die Amerikaner sind nicht nur übersättigt vom Sport, da die Spiele auch ihren Reiz verlieren, sondern haben in der hektischen Gesellschaft von heute einfach keine Zeit ihren Lieblingsclub regelmäßig zu verfolgen. In diese Nische könnte mehr denn je der Fußball stoßen. In der vergangenen Saison der Seattle Sounders in der Major League Soccer, war fast jedes Spiel ausverkauft mit einer durchschnittlichen Besucherzahl von 44.038, in der gesamten Liga sogar 18.611 (die französische Ligue 1 besuchten im Schnitt derweil 18.567 Zuschauer pro Spiel). In Seattle und bei Vereinen, wie zum Beispiel den Portland Timbers hat sich eine Fankultur mit Gesängen, Fahnen und Choreografien entwickelt wie man sie auch aus Europa kennt. Bei Spielen mit geringerer Distanz (die Gruppenspiele der MLS sind aufgeteilt in Ost und West), finden sich sogar eine nicht unerhebliche Anzahl an Auswärtsfans ein. Zuschauermagneten sind insbesondere die Regionen, in denen die professionellen Eishockey-, Basketball- oder Footballteams weniger erfolgreich oder nicht existent sind. Die MLS hat diesen Trend erkannt und vermarktet den Fußball als familienfreundliche Unterhaltung. Selbst der Ligachampion kommt nur auf 17 Spiele pro Saison und ein Spiel dauert nur 90 Minuten statt vier Stunden. Das macht es für viele einfacher, den Lieblingsverein zu verfolgen.
Die Mittel sind vorhanden, aber es ist noch ein langer Weg
Der Zukauf von teuren Superstars aus dem Ausland wird dem Aufschwung nicht verebben lassen. Natürlich gehen die meisten großen Stars aus Europa erst mit Mitte 30 zum Karriereausklang nach Amerika, allerdings ging David Beckham schon mit 31 nach LA – quasi im besten Fußballalter. Für europäische Spitzenspieler bietet die MLS einen besonderen finanziellen Anreiz, da sie ihren Marktwert steigern können aufgrund zahlreicher Werbedeals mit neuen Sponsoren und namhaften Sportartikelhersteller.
Wirtschaftlich und sportlich hängt die MLS jedoch noch weit hinterher. Wenn amerikanische Fußballfans nicht ins Stadion gehen, schauen generell nur wenige die Ligaspiele im Fernsehen. 2013 schauten sich gerade mal 220.000 Zuschauer die Spiele auf ESPN an. Der durchschnittliche Umsatz der MLS betrug 2013 ca 20 Mio €, während die Profiliga im American Football ca 200 Mio € Umsatz pro Team machte, die Baseballliga MLB ca 170 Mio €, die NBA 100 Mio € und die Eishockeyliga 70 Mio €. Die deutsche Fußballbundesliga macht aktuell einen durchschnittlichen Umsatz von 100 Mio €. Das bedeutet, dass die MLS zunächst ihren Umsatz steigern müsste um kompetitiver zu werden. Dabei ist die Herangehensweise von amerikanischen Franchises durchaus eine andere als in Europa. Während der Fußball in der Breite gesehen ein Non-Profit-Business ist und sogar hohe Defizite generiert, geht es den amerikanischen Investoren in erster Linie um Profit unabhängig des sportlichen Erfolges. Wenn die Hispanics die Internate der Proficlubs verlassen und vermehrt anfangen in der Liga zu spielen, könnten sie zu Identifikationsfiguren für weite Teile der Bevölkerung werden und somit den Umsatz der amerikanischen Profiklubs weiter ankurbeln, da die sich die meisten Hispanics eher den Spanischen oder Lateinamerikanischen Mannschaften zugehörig fühlen. Ein amerikanischer Topspieler mit mexikanischen Wurzeln, könnte also die Rolle einnehmen, die Joe DiMaggio damals im Baseball eingenommen hat. Gleichzeitig könnten europäische Spitzenvereine Farmteams in den USA etablieren, was in anderen amerikanischen Sportarten schon üblich ist, wo junge Spieler bei anderen Vereinen “geparkt” werden damit sie sich dort besser entwickeln könnten. Dadurch stiege die sportliche Qualität und amerikanische Fans würden neben den ausländischen auch der heimischen Liga mehr Beachtung schenken. Erste Weichen wurden bereits gestellt. Zur kommenden Saison hat eine Investorengruppe aus Abu Dhabi 100 Mio € bereit gestellt um einen Profiverein in New York zu etablieren, was zeigt, dass das Bemühen in den amerikanischen Fußball zu investieren vorhanden ist. Gleichzeitig soll New York FC, so der Name des Clubs, als Farmteam für den englischen Club Manchester City dienen, welcher derselben Investorengruppe angehört.
Der Soccer breitet sich in den USA nicht mehr nur an Schulen und Universitäten aus, sondern ist dabei gesellschaftlich akzeptiert zu werden und einen Platz in der einheimischen Sportkultur zu erlangen. Getragen wird dies vor allem durch ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis seit der Wirtschaftskrise und durch den demografischen Wandel. Bis Fußball jedoch die etablierten Sportarten in den USA abgelöst haben wird, ist es sicher noch ein weiter weg. Doch wer weiss? Möglicherweise sehen wir irgendwann in Filmen, wie sich Vater und Sohn nach Feierabend galant ein paar Bälle per Hacke zuspielen und über die Probleme des Alltags reden, während sie an den Wochenenden im Stadion sitzen und sich bei einem Burrito und einem Corona gemeinsam ein Soccer-Match anschauen.
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