Estland schreit nicht nach hippen Innovationszentren a la San Francisco oder Berlin. Doch was es geschafft hat, lässt gerade diese Innovationszentren alt aussehen. (Foto: European Parliament)
Wenn man dort zum Amt geht, 50€ bezahlt, ein Passbild einreicht und Fingerabdrücke abgibt, bekommt man nicht nur einen Personalausweis, sondern auch ein Passwort und einen PIN-Code, der einem Zugang zu den nationalen Systemen verschafft.
Estland kann unser Verständnis von Nation verändern
Zugänglich ist diese Prozedur für alle. Selbst der japanische Premierminister ist ein so genannter E-Resident der Republik Estland. Viele andere könnten ihm nachziehen. Das System könnte nicht nur die öffentliche Verwaltung im Zeitalter des Internets revolutionieren, sondern unser Verständnis von einer Nation.
Als Estland 1991 seine Unabhängigkeit von Russland erklärte, verstanden sie schnell, dass sie etwas benötigen, damit sie sich von den Nachbarn absetzen und konkurrenzfähig werden können. Norwegen hatte Öl, Finnland Nokia und Schweden Ikea.
Tallin: Ein bisschen “Games of Thrones”
Aber was fällt einem zuerst ein, wenn man an Estland denkt? Vermutlich gar nichts, wie selbst der estnische Regierungsbeauftragte für Information zugibt. Deswegen hat sich die Baltikumrepublik auf technologische Innovation spezialisiert.
Zugegeben, es fällt einem nicht sofort auf. Die Hauptstadt Tallin sieht immer noch ein wenig mitgenommen aus. Die Altstadt erinnert ein bisschen an “Game of Thrones” für Arme und der Rest der Stadt mit seinem Postsowjetcharme kann einen nur daran erinnern, wie kalt und dunkel so ein Winter wirklich sein kann. Es schreit nicht nach hippen Innovationszentren a la San Francisco oder Berlin.
Doch was Estland geschafft hat, lässt gerade diese Innovationszentren alt aussehen und dass obwohl die Hälfte der Bevölkerung erst seit gerademal zwanzig Jahren über einen Telefonanschluss verfügt. Bereits 1997 waren jedoch schon 97% der estnischen Schulen an das Internet angeschlossen.
E-Voting statt Schlaglöcher
Zur Jahrtausendwende waren Kabinettssitzungen der Regierung nicht mehr auf Papier angewiesen. 2002 hat die Regierung ein kostenloses W-LAN-Netzwerk eingerichtet, dass fast die komplette Fläche des Landes abdeckte.
Fünf Jahre später konnten die Bürger zum ersten Mal beim E-Voting über die zukünftige Regierung abstimmen und 2012 wurden hochmoderne Glasfaserkabel gelegt, die der Bevölkerung eine der schnellsten Verbindungen in ganz Europa ermöglichen. Heute machen 94% der Esten ihre Steuererklärungen online. Das ganze dauert nicht mehr als fünf Minuten.
Die Schlaglöcher auf den Straßen täuschen, da die Gesellschaft so etwas als Lappalie ansieht. Heutzutage werden fast alle Bürgerdienste online geregelt. Mit der Chipkarte und dem PIN-Code regeln die Esten sämtliche Verwaltungsgänge einfach und bequem von zu Hause oder unterwegs vom Smartphone. Diese Innovation will die estnische Regierung nun auch für Bürger anderer Länder attraktiv machen.
E-Residency statt Staatsbürgerschaft
Seit diesem Sommer kann man in jeder estnischen Botschaft eine E-Residency für das Land beantragen. Bald soll dies sogar elektronisch möglich sein. Man gibt dann alle relevanten Daten ein und nach einem Background-Check kann man die Chipkarte und den PIN abholen.
Warum man E-Resident, also nicht mal ganzer estnischer Staatsbürger werden soll?
Nun für Unternehmer kann es sicherlich interessant werden. Wer ein Gewerbe in Estland eröffnet, kann jederzeit auf der ganzen Welt darauf zugreifen. Das estnische Finanzamt und die Banken sind natürlich ebenfalls digital verbunden. Da nicht nur die Steuererklärung sondern sämtliche gewerbesteuerliche Transaktionen einfach durchzuführen sind, erhofft man sich möglichst viele Start-Ups und Großunternehmen in das Land zu holen.
Der Clou ist, dass Estland sein Steuersystem mit denen der anderen EU-Länder verbindet. Deutsche Bürger könnten ihr deutsches Unternehmen über das estnische System laufen lassen, welches dafür sorgen würde, dass die deutschen Finanzämter ihre Steuern rechtzeitig und richtig bekommen würden.
Die Idee dahinter: man erhofft sich, dass Unternehmer aus dem Ausland Bankkonten in Estland eröffnen und dortige Dienstleistungen nutzen. Im Grunde ist es so, wie wenn man als Privatkunde seine Bank wechselt, weil die andere Bank einen besseren Service bietet.
Der Staat wird so auf wenige Quadratmeter Server reduziert. (db)