70 Jahre Kriegsende: Wie die Bundesrepublik ihren Umgang mit dem Krieg erneuern muss (Teil II)

Ist es nur Zufall, dass solche rechtsradikalen Tendenzen in diesem Ausmaß ausgerechnet jetzt wieder auf den Plan treten? Dies ist stark zu bezweifeln. In diesen Tagen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. 70 Jahre ist die größte Katastrophe, die Europa erleben durfte nun her. Allerdings bedeutet dies auch, dass die letzten Zeitzeugen sterben, die den Weltkrieg und den Holocaust wirklich miterlebt haben. Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat kürzlich gesagt: „Gerade die Fähigkeit, wie wir mit der Vergangenheit umgehen, wie wir umgehen mit den Verbrechen des Dritten Reiches. Da wird nichts mehr beschönigt, dazu stehen wir“ Die historische Verantwortung ist ein Fundament deutscher Nachkriegsidentität und –Politik. (Foto: Bundesarchiv)

Nun ist der Zweite Weltkrieg gerade in Deutschland allgegenwärtig. In der Schule gibt es kaum ein Fach, welches sich nicht mit der Nazidiktatur beschäftigt. Neben den üblichen Fächern Geschichte oder Politik, die sich mit der Thematik beschäftigen, werden im Deutschunterricht Reden von Hitler oder Goebbels analysiert und im Kunstunterricht auch entartete Kunst thematisiert. Dass man das Thema in solch einem breiten Spektrum aufarbeitet ist unfassbar wichtig und richtig. Kommen die Schüler abends heim, gibt es im Fernsehen eine große Vielfalt an mittelmäßigen Dokumentationen bis tiefergreifenden Filmen zum Krieg. Kaum ein Kapitel der Weltgeschichte wurde wohl in diesem Ausmaß seziert und untersucht.

„Wie hätten wir an seiner Stelle reagiert?“

Wenn die Jugend den Krieg jedoch nur aus Film und Fernsehen kennt, könnte er Gefahr laufen einen mehr oder minder fiktiven Charakter zu erhalten. Zu meiner Schulzeit hatten wir Sally Perel zu Besuch. Perel ist besser bekannt unter dem Namen „Hitlerjunge Salomon“. Er ist gebürtiger Jude, der während des Krieges der Hitlerjugend anschloss und sich als Deutscher ausgab. Anschließend wurde diskutiert. Wie hätten wir an seiner Stelle reagiert? Immerhin hat sich Perel quasi als Opfer des Systems dem System angeschlossen, dass ihn und seine Familie bekämpfte. Welche Rolle nimmt in solch einer Situation die Moral ein gegen den eigenen Überlebenswillen? Die persönlichen Einzelschicksale sind es, die unser Empathie-Empfinden anregen. Wir versetzen uns selbst in die Situation und fragen wir uns, wie wir an ihrer Stelle gehandelt hätten. Mit dem Ableben der letzten Zeugen und dem Verschwinden der Möglichkeit die Umstände des Krieges quasi „aus erster Hand“ zu erhalten, sind die Bildungsministerien gefordert neue Strategien gegen das Vergessen zu schaffen.

So könnte man zum Beispiel darüber nachdenken, dass Ausflüge in Konzentrationslager-Gedenkstätten ins Pflichtprogramm für deutsche Schüler aufgenommen werden. In Israel ist dies ohnehin verpflichtend. Anschließend könnten sich deutsche und israelische Schüler zur Diskussion und zum Austauschen von Erfahrungen und Kultur treffen. Dies hätte einen integrativen und präventiven Charakter um rechte Tendenzen im Keim zu ersticken. Außerdem wäre es sinnvoller als so manche Skifreizeit, die von Schulen angeboten werden.

Über den Zusammenhang zwischen NS-Diktatur und Rechtspopulismus bewusst werden

Wichtig ist dabei vor allem die Brücke zur heutigen Zeit zu schlagen. Im neu eröffneten NS-Dokumentationszentrum in München werden auf der 1.000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche auch die Neonazis von heute thematisiert. Dabei hebt Direktor Winfried Nerdinger hervor: „Wir sind keine Gedenkstätte. Hier setzen wir uns an diesem Täterort mit den Tätern auseinander. Jeder wird konfrontiert sein mit seiner Umwelt. Das was ich gesehen habe, kann ich nicht einfach in die Geschichte verabschieden. Türe zu und erledigt. Es geht mich was an, mich gegen Ausgrenzung und Unrecht zu wehren.“ Junge Generationen müssen sich der Verbindung zwischen NS-Diktatur und Rechtspopulismus gerade in der Bundesrepublik ständig bewusst sein.

Mit dem technologischen Fortschritt und der Nutzung von Multimedia, wäre es so in Zukunft in Museen und Gedenkstätten denkbar oben genannte Einzelschicksale in Hologramme zu fassen quasi als Geschichte zum Anfassen. Die Nutzung von sozialen Medien bei der Aufarbeitung und Erinnerung ist bei der intensiven Nutzung dieser bei Jugendlichen unerlässlich. So bietet der Twitter-Account @digitalpast die Möglichkeit die dramatischen Ereignisse vor 70 Jahren digital und in Echtzeit zu verfolgen.

 Genscher: „Wer erkennt was geschehen ist, ist besser gefeit gegen Wiederholung.“

Egal für welche Maßnahmen man sich am Ende entscheidet, man muss sich bewusst sein, dass man vor einem Scheidepunkt im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg befindet, wo man auf mehreren Ebenen umdenken muss um rechtes Gedankengut in der Bundesrepublik im Keim zu ersticken. Oder um es mit Genscher zu sagen: „Es gibt Dinge, unter die man keinen Schlussstrich ziehen kann. Wer erkennt was geschehen ist, ist besser gefeit gegen Wiederholung.