Verschwörungstheorien: Die Rache des kleinen Mannes

Zu modernen Mediengesellschaften gehören auch Verschwörungstheorien. Denn sie erfüllen eine wichtige Funktion. Nun will eine internationale Forschergruppe das Phänomen interdisziplinär untersuchen. (Foto: Prashanta)

Lügenpresse! BRD GmbH! Die Flüchtlingskrise ist gesteuert, um Europa zu destabilisieren! Die Welt wird durch fünf Großkapitalisten angeführt! 11. September ist ein Inside-Job! Kriege werden geführt, um die Weltbevölkerung zu dezimieren! Der tiefe Staat! Verschwörungstheorien haben rund um den Globus Hochkonjunktur – und das ist offenbar kein Zufall.

Den Medien kommt bei Verschwörungstheorien eine Schlüsselrolle zu. Aber erst durch die sozialen Medien scheinen Verschwörungstheorien erst Recht einen vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben. Während bei Zeitungen, beim Fernsehen und Radio die Vermittlung einer Information linear von A nach B erfolgt, haben sich die Informationswege im Zeitalter von Facebook, Twitter, YouTube und Blogs multidirektional vervielfacht.

Dank Internet jedermann Content-Distributor

Die Produktion von Information und ihre Weiterreichung erfolgt nicht mehr durch wenige Hochspezialisierte, die Zugang zu teuren Technologien haben. Heute ist jedermann mit einem Smartphone und Zugang ins Internet ein Content-Distributor. Eine wesentliche Besonderheit kommt hinzu: Dank der sozialen Medien erhalten die Informationsproduzenten eine unmittelbare Rückmeldung durch fremde Dritte – und sie können sich in Gruppen und Foren organisieren und sich vernetzen.

Verschwörungstheorien gibt es schon seit Langem. Ende des 19. Jahrhunderts bis tief in das 20. Jahrhundert wurde unter einer Verschwörung verstanden, dass eine Gruppe von mindestens zwei Personen sich zusammenschließen, um einer dritten Person zu schaden. Die Polizei entwickelte nicht selten Verschwörungstheorien, um solche kriminellen Vereinigungen aufzuspüren. Verschwörungstheorien dienten den Eliten in früheren Epochen, um Randgruppen weiter auszugrenzen und zu entkräften, oft mit der Absicht ihre eigene Macht zu stützen.

Delegitimation – Merkmal moderner Verschwörungstheorien

Wesentliches Merkmal der Verschwörungstheorie heute ist ihre “delegitimierende Funktion”. Zum einen durch Formulierung einer Verschwörung, die sich gegen eine ausgewählte Gruppe richtet, zum anderen durch Abwertung einer Behauptung als unwahr. Dank des Internets und vor allem den sozialen Netzwerken können soziale Gruppen aber, so klein sie auch mögen, diese Gebrauchsweise von Verschwörungstheorien nutzen, um ihren Einfluss zu erweitern.

Verschwörungstheorien können harmlos sein. Sie werden aber auch gezielt im politischen Diskurs innerhalb einer Gesellschaft aber auch im Wettbewerb zwischen Nationalstaaten eingesetzt. Sie können daher eine bedrohliche Dimension annehmen. Das Problem: die Ursachen, Dynamiken und die Folgen von Verschwörungstheorien sind weitgehend unbekannt.

Genau genommen liegen sie oft isoliert vor. Psychologen untersuchen dieses Phänomen genau wie Soziologen, Politikwissenschaftler oder Historiker – allerdings jede Disziplin für sich isoliert. Die Verschwörungstheorien im asiatischen Raum haben zudem eine andere Form als solche, die in Europa die Runde machen. Aus diesem Grund hat der deutsche Wissenschaftler Michael Butter einen internationalen Forscherverbund initiiert, um das Phänomen der Verschwörungstheorien interdisziplinär und international zu untersuchen.

Von einer europäischen Initiative gefördert

“Das Netzwerk soll die bisherige Forschung, die sich in der Regel mit einzelnen Theorien in einzelnen Ländern beschäftigt hat, zum ersten Mal systematisch auswerten. Dadurch wollen die Wissenschaftler bisher unbeantwortete Fragen klären: Wiederholen sich bestimmte Aspekte von Verschwörungstheorien unabhängig vom zeitlichen und kulturellen Kontext? Welche Akteure sind an ihrer Produktion und Verbreitung beteiligt? Welche psychologischen und kulturellen Ursachen sind der Nährboden für diese Theorien? Welche Konsequenzen haben diese letztlich für die Politik? Und zuletzt: Wie geht man mit solchen Theorien um?”, heißt es in der Pressemitteilung der Universität Tübingen.

Das internationale Forschungsprojekt trägt den Titel “Comparative Analysis of Conspiracy Theory“, an der rund 60 Wissenschaftler aus über 30 Ländern beteiligt sind. Gefördert wird es durch die Initiative European Cooperation in Science and Technology (COST).