Nicht nur Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Das Land ist auch auf Einwanderer angewiesen, die aus beruflichen Gründen zu uns kommen müssen. Die neuen Arbeitsmigranten können viele Fehler der Vergangenheit vermeiden. Sie können von den Türken lernen.
Unter dem Eindruck der Flüchtlingsströme nach Europa diskutiert Deutschland, wie erfolgreiche Integration gelingen kann – schon wieder. In diesen Diskussionen wird immer wieder angeführt, dass man die „Fehler der Vergangenheit“ nicht wiederholen dürfe.
Manche Kommentatoren und Beobachter sind da genauer. Sie sagen, dass die Fehler nicht wiederholt werden dürfen, die bei den Türken gemacht worden sein sollen. Zugegeben, es sind Fehler gemacht worden. Sogar sehr viele und vielschichtige. In einer so engen und innigen Beziehungen wie der zwischen der türkischen Community und der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist es allerdings unmöglich, dass nur eine Seite Fehler gemacht haben soll. Es ist allerdings wenig hilfreich, nur auf die Fehler der anderen hinzuweisen. Wie in jeder guten Ehe, so auch in der Beziehung zwischen Türken und Deutschen, endet ein solcher Vorwurf immer fatal. Schließlich werden wir mindestens noch weitere 50 Jahre in diesem Land gemeinsam leben.
Daher möchte ich nicht aufzählen, welche Fehler die deutsche Mehrheitsgesellschaft gemacht hat. Ich möchte fünf Fehler nennen, die die Deutschtürken selbst gemacht haben, die sie auf keinen Fall wiederholen dürfen. So erhoffe ich mir, dass die Türken gemeinsam mit der Mehrheitsgesellschaft stark genug werden, um die Flüchtlinge besser in diesem Land aufzunehmen und sie auf das Leben hier in Deutschland vorzubereiten.
Unser 1. Fehler: Wir vergessen die türkische Sprache!
Wer in Deutschland eine Arbeit haben und Geld verdienen, seine Familie versorgen und die Zukunft seiner Kinder absichern möchte, der wird zwangsläufig die deutsche Sprache lernen. Er braucht keine Belehrung oder Aufforderung von außen. Der Druck, die deutsche Sprache zu lernen, ist allgegenwärtig. Die eigentliche Herausforderung besteht also nicht darin, die deutsche Sprache zu erlernen, sondern die eigene Muttersprache nicht zu verlernen.
Unser 2. Fehler: Wir glauben, Abgeordnete seien wichtig!
Abgeordnete sind wichtig, weil sie in wichtigen Entscheiderpositionen sitzen und daher großen Einfluss haben – denken wir oft. Das ist eine Denke, die die türkische Community aus der Türkei mitgebracht hat. Parlamentarier dort haben großen Einfluss, weil sie durch Fürsprache Türen öffnen können. Doch das können sie nur, weil die Menschen annehmen, dass Abgeordnete großen Einfluss haben. Wenn also alle denken, dass Abgeordnete einflussreich sind, dann werden sie einflussreich. In einer Demokratie, in einem Rechtsstaat haben Parlamentarier nur einen begrenzten Einfluss, der nicht über die Verfassung hinausgeht. Die Aufgabe des Politikers in einer Demokratie ist dabei einfach: Wir wählen ihn und statten ihn mit Vollmachten aus, damit er unser Interesse im Parlament vertritt. Damit dienen die Parlamentarier uns – und nicht umgekehrt.
Unser 3. Fehler: Wir fördern unsere Medien nicht!
Erfreulicherweise hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielfalt an türkischen Medien in Deutschland etabliert. Manche von ihnen veröffentlichen auch in deutscher Sprache. Auf diese Weise fördern sie nicht nur das das gemeinsame Verständnis füreinander. Sie sind auch wichtig, um die Wünsche, Interessen und die Sicht der türkischen Community in die öffentlichen Debatten einzubringen. Der Betrieb einer solchen Redaktion allerdings ist personalintensiv und kostet viel Geld. Es mangelt an der Bereitschaft, sie zu fördern.
Unser 4. Fehler: Wir benötigen eine unabhängige Forschung!
Türken sind schlecht integriert, leben überwiegend von Sozialhilfeleistungen und sind schlecht in der Bildung. Das sind einige der “Forschungsergebnisse” über die Türken in Deutschland. Inzwischen wird kaum noch über diese Arbeiten geredet. Denn viele Ergebnisse dieser wisschenschaftlichen Studien basierten auf streitbaren Methoden. Um zu ermitteln, ob die Türken in Deutschland „schlecht integriert“ sind, muss zunächst definiert werden, was Integration eigentlich ist. Trotzdem haben viele in der türkischen Community diese Forschungen unhinterfragt geglaubt.
Unser 5. Fehler: Wir sind nicht selbstbewusst genug!
Ich bin ein Europäer. Für mich ist Europa politisch, sozial und ökonomisch ein herausragender Leuchtturm in der Welt. Ich bin aber auch Türke. Als solcher bin ich Teil einer Volksgemeinschaft, die von Westchina über Zentralasien, Kaukasien, den Nahen Osten, Südosteuropa und inzwischen bis Deutschland reicht. Sie ist nicht nur über 250 Millionen Menschen groß, sondern je nach Überlieferung über 3.000 Jahre alt. Ich bin auch Angehöriger des Islam, der in verschiedenen Epochen für Fortschritt und Freiheit gestanden hat und in manchen Teilen noch heute tut. Ich kann von Europa viel lernen. Aber diese Weltregion kann auch viel von unserer Zivilisationsgeschichte lernen. Gemeinsam erreichen wir womöglich mehr, wenn wir beginnen, nach unseren gemeinsamen Interessen und Wünschen fragen. Doch dafür benötigen wir Selbstbewusstsein.
Gut gebrüllt Kamuran Sezer,
kein Mensch sollte seine Wurzeln vergessen oder verleugnen. Es ist ein Teil des Individuums, hat es geprägt in sozialer und moralischer Art und Weise. Um die Türkei als Beispiel beizubehalten, schauen wir einmal auf die Geschichte; entstanden aus den kläglichen Resten des Osmanischen Reiches, welches wiederum eine Ansammlung von ethnischen Volksgruppen in sich vereinigte. Du sagst du bist Türke und bist mit dieser Aussage eigentlich schon vom Selbstverständnis her Nationalist. Aber aus welchem Volk entstammst du wirklich?
Auch Deutschland entstand aus einem Konglomerat von verschiedensten Völkern und Volksgruppen. Die jeweiligen Identitäten spiegeln sich heute noch stark wieder. Uns vereint eine Sprache und eine sehr lange gemeinsame Geschicht. Ein Gegeneinander und Miteinander, dass unsere Kultur geprägt und uns als Deutsche definiert. Nicht die Religion, nicht die Abstammung ist bestimmend für die Definition Deutscher zu sein, sondern das Gefühl in dem Staat BRD eine Heimat gefunden zu haben.