Jonathan Crary, Professor für Kunst und Theorie an der Columbia University, New York, provoziert in seinem neuen Buch “24/ 7” mit gewagten Thesen. Facebook und Google seien das “Guantanamo” für unsere moderne Gesellschaft. Dagegen helfe nur eine simple Lösung: Mehr Schlaf… (Foto: amazon)
-von forgsight
Unsere spätkapitalistische Gesellschaft mache nicht einmal vor der Tierwelt halt, so Crary. So schaffe es der Dachsammer, eine Sperlingsvogelart, während seines Fluges von Alaska nach Mexiko jeden Herbst sage und schreibe sieben Tage wachzubleiben. Dieses Phänomen untersuchen nun Wissenschaftler des Pentagons um zu erfahren, wie dieses auf das Steuerungsorgan des Menschen anwendbar ist.
Für den Kunsttheoretiker Crary soll dadurch der Schlaf, wie wir ihn jetzt kennen, weiter reduziert werden. Schuld daran sei neben dem Militär, vor allem die Wirtschaft. Schlaf diene nur noch als „kompromisslose Unterbrechung der uns vom Kapitalismus geraubten Zeit.“ Zugegeben, die Thesen des marxistisch-orientierten Crary wirken zuerst etwas konfus, doch auf den knapp 144 Seiten der englischsprachigen Originalausgabe wirkt seine Argumentation überraschend schlüssig.
Mittlerweile seien fast alle Teile unseres Lebens kontrolliert: „Die unerbittliche Finanzialisierung vormals selbstständiger Bereiche sozialer Interaktion schreitet ungehindert voran.“ Schuld daran seien die sozialen Medien und das Internet. Sie perfektionieren, das Phänomen der eyballing control (dt. Augapfelkontrolle), dessen Vorreiter das Fernsehen war. Darunter versteht man die Lenkung und Beeinflussung des Konsumverhaltens der Massen. Durch das Internet sei diese nun “total”. Leidtragend ist dabei dann unser Schlaf, da dieses Konzept der “Aufmerksamkeitsöknomie” von Google-Gründer Eric Schmidt sukszessiv die “Herrschaft über den Rest des Alltags” übernehmen.
Wenn Crary dann noch den Vergleich zum Internierungslager Guantanamo zieht, wo gezielter Schlafentzug zum Verhör und zur Kontrolle der Gefangen eingesetzt wird, erinnert seine Argumentation dann doch an orwellsche Utopien. Im Kern erfasst er die Wichtigkeit des Schlafes für die Produktivität und Innovation innerhalb unserer Gesellschaft jedoch korrekt. Er verweist dabei auf André Bretons “Les vases communicants”, wo der Schlaf quasi als Schnittstelle zwischen Traum und Realität dient, der den Menschen erst kreativ werden lässt.
Schlaf sei mehr als Regeneration. Es sei viel mehr die Enklave, den ständigen Zwängen unserer Gesellschaft zu entfliehen. (SPON/ forgsight)
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