Wenn vorhandene Landwirtschaftsflächen für die Gewinnung von erneuerbarer Energie und biogener Rohstoffe verwenden werden, müssen Anbaufläche in die Städte ausweichen. Ein Unternehmen aus Kanada zeigt, wie es gehen könnte.
Der Bauer im 21. Jahrhundert wird seine Latzhose und Regenstiefel gegen Hose, Hemd und Laborkittel austauschen. Statt alleine abseits urbaner Triebsamkeit wird er mitten in Städten arbeiten. Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man Mohamed Hage zuhört. Der Kanadier libanesischer Herkunft ist seit einigen Jahren ein gern gesehener Referent auf zahlreichen Kongressen. Denn er und sein Unternehmen haben sich auf die Fahne geschrieben, die Landwirtschaft auf den Kopf zu stellen – besser gesagt auf den Dächern der Städte.
Lufa Farms heißt sein Unternehmen, das er 2009 im kanadischen Montreal gegründet hat. Gemeinsam mit Architekten, Ingenieuren und Botanikern hat er zwei Jahre später auf dem Dach eines ehemaligen Industriegebäudes die erste Anbaufläche in einer Großstadt realisiert, als Gewächshaus. Nach dem Motto “Grow food where people live!” (Baue Nahrungsmittel dort an, wo die Menschen leben!) bietet er seinen Kunden ganzjährig Obst und Gemüse an.
Nachhaltiger Warenkorb
Nach dem der Kunde sich auf der Website des Unternehmens registriert hat, gibt er an, welche Obst- und Gemüsesorten sowie weitere Lebensmittel er in seinem Korb geliefert haben möchte. Lufa Farms arbeitet nämlich auch mit regionalen Bäckern, Bauern und Lebensmittelhändlern zusammen, die den Warenkorb um Kaffee, Brot oder Nudeln ergänzen. Wichtigstes Kriterium für die Kooperation dabei: Nachhaltigkeit im Anbau und in der Produktion.
Mohamed Hage hebt dabei einen entscheidenden Aspekt hervor: Wenn die Ernte es nicht zulässt, dann erhalten die Kunden nicht die bestellte Menge an Obst und Gemüse. Auch die Lieferung der Körbe an die über 4.000 Kunden in Montreal und Umgebung ist auf Nachhaltigkeit getrimmt. Statt jedem Kunden die Waren direkt an die Haustür zu liefern, müssen die Kunden ihre Bestellungen von Abholstationen in ihrer Nähe abholen. Das können Geschäfte oder Schulen sein.
Zukunftsmodell oder Luftnummer?
Hat das Geschäftsmodell von Lufa Farm eine Zukunft? Oder ist es eher eine Luftnummer? Für das Eduard Pestel-Institut ist die Geschäftsidee von Lufa Farms zunächst ein zweischneidiges Schwert: Einerseits kann die vollständige Ernährung einer Stadt nicht aus Projekten der urbanen Landwirtschaft gewährleistet werden. Andererseits müssen Anbauflächen in den Städten aufgebaut werden, wenn die vorhandenen Landwirtschaftsflächen für die Gewinnung erneuerbarer Energien und zur Gewinnung von biogenen Rohstoffen zum Ersatz fossiler Rohstoffe genutzt werden sollen.
Das aufgezeigte Geschäftsmodell kann als nachhaltige Landwirtschaft bezeichnet werden. Es erwirtschaftet auf relativ geringer und zudem bereits versiegelter Fläche einen hohen Ertrag. Dies ist ein Ansatz, der auch in Deutschland sehr wahrscheinlich wirtschaftlich-rentabel zu betreiben ist. Dabei ist es wichtig, Aspekte der Nachhaltigkeit strikt zu beachten. Im Falle von Lufa Farms sind ein geschlossener Wasserkreislauf auf Regenwasserbasis, biologische Schädlingsbekämpfung, Kompostierung und tägliche Lieferungen an den Kunden. Insbesondere durch den letzten Aspekt werden Lagerungsverluste an Nahrungsmittel vermieden.
Ökobilanz ist auch wichtig
“Einziger Problempunkt könnte die energetisch aufwendige Stahl-Glas-Konstruktion sein. Die Durchführung einer Ökobilanzierung würde hier Klarheit schaffen.”, führt Dieter Behrendt vom Pestel-Institut an. “Die Ökobilanzierung müsste auch beinhalten, ob das Abholen der Lebensmittel zu Fuß oder mit dem Fahrrad möglich ist oder ob dafür ein Auto verwendet wird oder werden muss.”