Deutschland ist im Kopftuch-Streit – schon wieder! Das ist eine Endlos-Debatte, findet Kamuran Sezer, und macht einen Vorschlag, wie man das Problem nachhaltig lösen kann. (Foto: re:publica/Gregor Fischer)
Seit wenigen Wochen erlebt das Land wieder einen Kopftuch-Streit. Betül U. ist eine angehende Juristin und bundesweit bekannte Bloggerin, die sich im Bezirk Berlin-Neukölln um eine Referendariatsstelle beworben hat, die abgelehnt wurde, weil sie ein Kopftuch trägt, so eine Version der Geschichte.
Das Bezirksamt in Neukölln hat nach einer Beratung entschieden, ihr diese Stelle anzubieten, allerdings unter der Bedingung, dass sie keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen darf. Derweil hat sich herausgestellt, dass Betül U. bereits von einer anderen Institution eine Zusage erhalten hatte, die angeblich mit dem Kopftuch kein Problem habe. Die Empörung darüber ist sehr groß. Wie ich finde auch zurecht. Jetzt wird geprüft, ob Betül U. gekündigt werden kann.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass ich das Verhalten von Betül U. ethisch verwerflich finde. Für mich persönlich war von Anfang an klar, dass hier versucht werden soll, einen Präzedenzfall zu schaffen.
Dieses Verhalten kenne ich aus der Türkei der 1990er Jahre allzu gut. Auf dem Höhepunkt eines autoritär-laizistischen Regimes wurden alle Frauen wegen ihres Kopftuchs aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Erfolgreiche Uni-Absolventinnen mit Kopftuch wurden bei der Urkunden-Übergabe teilweise mit Gewalt von der Bühne gezerrt. Es waren grausame, furchtbare Bilder.
Keine Existenzen gefährden wegen Naivität
Für mich war klar, dass diese Bilder sich in Deutschland nicht wiederholen werden. Trotzdem war ich gespannt, wie die Verantwortlichen damit umgehen werden. Und ich war erfreut, vielmehr erleichtert, dass trotz verhärteter Fronten die Auseinandersetzung auf der Grundlage gesellschaftlicher Regeln erfolgt ist.
Die Forderung aber, die Kündigung von Betül U. durch die Anwaltskammer prüfen zu lassen, hat mich jetzt genötigt, mich doch in diese meinerseits ungeliebten Debatte einzubringen. Denn sollte die Kündigung tatsächlich erfolgen, dann haben wir genau diese schrecklichen und furchtbaren Bilder aus der Türkei der 1990er Jahre im eigenen Land produziert und in das gesellschaftliches Gedächtnis manifestiert.
Abgesehen davon, dass damit das Problem um das Kopftuch nicht gelöst werden würde, schafft man mit einer solchen “Bestrafung” die Grundlage für den nächsten gesellschaftlichen Konflikt. Denn auf das Opfer Betül U. würden noch mehr “Aktivistinnen” auf die Bühne treten. Die Türkei ist dafür ein gutes Beispiel, aus der man lernen kann.
Das Neutralitätsgesetz ist unverhandelbar
Schließlich darf man nicht vergessen, dass Betül U. trotz Begabung, Popularität und Selbstbewusstsein mit 26 Jahren eine junge Frau ist, der man unterstellen darf, dass sie noch viel im Leben lernen wird, sofern sie einsichtig ist. Sie hat nicht nur das Recht, sondern die Gesellschaft steht in der Pflicht, ihr eine zweite Chance zu geben.
Als Systemanalytiker allerdings bin ich außerordentlich unzufrieden, wenn ich in diesem gesellschaftspolitischen Dilemma keine Exit-Strategie finden kann und habe nachgedacht.
Ich finde das Neutralitätsgesetz absolut richtig! Für mich ist es daher ein unverhandelbarer und unverzichtbarer Wert!
Allerdings kann eine Muslima ihr Kopftuch nicht abnehmen, während ihre evangelikale Kollegin das Kreuz an der Halskette unter ihrer Bluse verstecken kann. Im äußersten Fall kann sie es abnehmen und in die Tasche versenken, die sie wieder anlegen kann, wenn sie nach Hause oder zum Gottesdienst fährt.
Mal systemtheoretisch gedacht: Das Kopftuch ist eine Variable in einer nicht lösbaren Gleichung
Außerdem hat es Frauen mit Kopftuch in der Vergangenheit gegeben. Sie gibt es heute noch. Und sie wird es in der Zukunft geben. Sie sind unvermeidbar – und das ist gut so!
Dabei sind diese Frauen in der Schule überaus engagiert und erfolgreich. Es ist daher absehbar, dass sie eine akademische Laufbahn einschlagen werden. Und da der deutsche Staat es sich nicht leisten kann, auf kluge und gut ausgebildete Köpfe zu verzichten, ob mit oder ohne Kopftuch, muss also ein Weg gefunden werden, der dieses Dilemma effektiv überbrückt.
Mein Vorschlag ist, dass das Objekt der Verhüllung, nämlich das Kopftuch, verhüllt wird. Ich schlage sozusagen vor, dass ein amtliches Kopftuch eingeführt wird.
Der Vorschlag hört sich zunächst komisch an. Aber der Richter, der Staatswalt oder der Verteidiger, die allesamt mit ihren Alltagsklamotten zum Gericht kommen, ziehen ihre Juristenrobe über, bevor die Gerichtsverhandlung beginnt.
Ja, damit legen diese Personen ihren Glauben, ihre Weltanschauung, ihre parteipolitische Präferenz oder ihre Persönlichkeit doch nicht ab. Mit der Juristenrobe wird sinnbildlich sowohl die funktionelle Rolle in der Rechtsordnung als auch ihre Würde, ethische Haltung und professionelle Verantwortung zum Ausdruck gebracht.
Ein amtliches Kopftuch ist die Lösung
Was hindert uns daran, diese Symbolik einfach auf das Kleidungsstück “Kopftuch” auszuweiten? Und sollte eine Richterin mit Kopftuch sich fragwürdig im Gericht verhalten, verfügt der Rechtsstaat über Kontroll-, Prüf- und Sanktionsmöglichkeiten, die gegen sie angewandt werden können – wie sie bereits gegenüber anderen Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern in der Vergangenheit auch angewandt wurde.
Da wir alle Frauen mit Kopftuch in Deutschland nicht auf den Mond schießen können, wie manche Undemokraten aus uralten Tagen dieses Landes fordern, wäre der Vorschlag doch eine gute Exit-Strategie aus der Endlos-Schleife Kopftuch-Streit. Finden Sie nicht!?
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