Eine hochkarätige Delegation aus Deutschland in Istanbul. Darin 7 Wissenschaftler, 4 Personen aus dem MIWF inklusive Ministerin und 6 Journalisten. 3 der Wissenschaftler und 3 der Journalisten mit türkischem Hintergrund. Eine starke Aussage bezüglich gelebter und zukunftsweisender Willkommenskultur. (Foto: Ralph Sondermann)
Die Reise der Delegation war dicht getaktet. Zwar war jedem Teilnehmer freigestellt an den Programmpunkten teilzunehmen oder eben nicht; aber bis auf unausweichliche Einzeltermine hat die Gruppe alle Termine gemeinsam abgeklappert.
Nicht zu vergessen ist, das die Gespräche immer auf höchstem Niveau, denn mit Wissenschaftlern stattfanden. Die niederprasselnden Eindrücke dieser unglaublichen Stadt reichen für gewöhnlich selbstständig, aber bei dieser Reise kam auch noch der Input von den ganzen Terminen hinzu. Unter massivem Kaffee- und Teekonsum haben die Teilnehmer die Kräfte beisammen gehalten und starke Leistung gezeigt.
Bei Gesprächen zwischen Wissenschaftlern beider Länder kam man schon nach wenigen Sätzen schnell auf das Thema des türkischen Bildungssystems und dessen unbegreiflichen Hürden. Die gesonderte Stellung des sogenannten YÖK (Yüksek Ögretim Kurulu – Hochschulrat) sorgte für andauernde Verblüffung.
Die Art und Weise in der die Schüler in die Unis eingeteilt werden blieb unverstanden. Keiner, sowohl unter den deutschen Wissenschaftlern, als auch unter den türkischen Gesprächspartnern konnte dieses System auch nur irgendwie verständlich erläutern. Am Ende blieb einem nichts weiter übrig mit verschränkten Armen in die leere Kaffeetasse zu starren.
Soviel Bildungsungleichheit und Chancenungleichheit, soviel Potentialverlust ist natürlich nur schwer nachzuvollziehen.
Die einzige staatliche Universität auf dem Reiseplan der Delegation fiel nicht mit seinen 80 tausend Studenten auf, sondern mit den maroden Einrichtungen, den Plastikböden und altmodischen Lerntischen. In der Bibliothek waren die Bücherregale bei weitem nicht gefüllt und auch nicht mehr auf dem neuesten Stand. Die Studenten lernten hier wohl unter schwierigen Voraussetzungen und mit einem komplizierten Zugang zu zeitgemäßen Lernmaterialien.
Räume, in denen sich Studenten auf die bevorstehenden Prüfungen vorbereiteten hatten keinen Lärmschutz und auch keinen Komfort.
Völlig anders sah es allerdings bei den Stiftungsuniversitäten aus, die sehr modern und bestens ausgestattet sind. Der Nachteil: die beiden Stiftungsuniversitäten Bilgi und Yeditepe haben ihren satten Preis. Die Beiträge variieren bei der Yeditepe Universität zwischen 20 und 40 Tausend Euro im Jahr, dabei gehören Studiengänge wie beispielsweise Medizin zu den teuersten. Die ebenfalls hohen Beiträge an der Bilgi Universität gelten allerdings nicht für Studenten, die sich über das Master-Programm der Universität zu Köln bewerben. Prof.Dr. Heinz-Peter Mansel hat die Kooperation mit der Bilgi Universität nur unter der Voraussetzung abgeschlossen, dass seine Studenten keine Gebühren zahlen müssen.
Prof. Mansel war von Anfang an klar, Studenten aus Deutschland, die nur Bafög beziehen und nebenbei arbeiten müssen, können diese 11 Tausend Euro im Jahr nicht aufwenden.
Stipendien für die besten Schüler reichen nur für die Studiengebühren. Das Mithalten mit den reichen Kindern fällt den ärmeren schwer.
Die Bilgi Universität stellt für die besten Schüler des Landes Stipendien zu Verfügung. Die besten Schüler werden durch diese Abschlussprüfungen im letzten Schuljahr bestimmt. Bei den Abschlussprüfungen der Lise (das türkische Abitur) müssen die meisten Punkte erreicht werden. Nur eine Prüfung entscheidet in der Türkei nach wie vor über das Schicksal von Millionen von jungen Menschen. Dabei ist die Teilnehmerzahl so hoch, dass Bruchteile einer Nachkommerstelle einen Schüler in der Rangliste um hunderte von Plätzen nach hintern werfen kann.
Die besten Schüler in diesen Prüfungen kommen meistens aus ärmlicheren Verhältnissen. Um ihre womöglich einzige Chance zu nutzen, bereiten sich besonders diese Schüler Tag und Nacht auf diese „staatsexamensartigen“ Prüfungen vor und verpassen nicht zuletzt den Großteil ihrer Jugend am Lernpult.
Diese fleißigen Schüler, die auch den Wert der Bildung früh genug erkannt haben, sind natürlich seitens der Unis heiß begehrt. Mit solchen Juwelen polieren Stiftungsuniversitäten ihre eigene Leistung auf. Deshalb werden die Studiengebühren durch diese Stipendien bezahlt und auch Schüler ohne finanzielle Kraft können dort studieren. Allerdings ist es eine Illusion zu denken, das diese Schüler dann ihr Studium stressfrei genießen, denn die Fortsetzung ihrer Stipendien steht unter höchstem Leistungsdruck. Es hängt davon ab in fast allen Prüfungen zu bestehen. Durchzufallen bedeutet, das ihre Stipendien gekürzt oder ganz aufgelöst werden. Außerdem müssen sie auf dem selben Campus mit den sozialen Verhältnisse von reichen Kindern mithalten. Wer die türkische Gesellschaft kennt und von der Kluft zwischen Arm und Reich weiß, kann sich vorstellen, welche Schwierigkeiten ein solches Kind haben wird.
Wissenschaft und Forschung in Deutschland unter deutlich besseren Umständen
Durch die Gespräche mit lehrenden Dozenten und Professoren in der Türkei haben die deutschen Wissenschaftler der Delegation wahrscheinlich ihre Situationen und Möglichkeiten, die ihnen Deutschland als starkes Forschungsland bietet, besser schätzen gelernt. Im Vergleich zu deutschen Wissenschaftlern müssen Dozenten und Professoren in der Türkei erheblich mehr Stunden in der Woche unterrichten. Von der Zeit, die den deutschen Wissenschaftlern zum Forschen bleibt können beinah alle Wissenschaftler in der Türkei nur träumen. Um es an Zahlen zu verdeutlichen hier ein Beispiel: Während ein Wissenschaftler an einer deutschen Universität ca. 13 Stunden in der Woche unterrichtet und in der restlichen Zeit forschen kann und muss, müssen einige Wissenschaftler der Türkei knapp 30 Wochenstunden lehren. In der restlichen Zeit dürfen sie dann auch noch forschen, wenn sie denn dann noch wollen und können.
Bescheidene Politiker sorgen in der Türkei für Verblüffung
Eine Anekdote muss hier auch noch unbedingt erwähnt werden. In einem Land, in dem Minister und Abgeordnete sich nicht ohne ihre Sicherheitskräfte fortbewegen, war Ministerin Svenja Schulze in der Delegation ein bescheidener Bestandteil des Teams. Meine beiden Muttersprachen haben mir in den Terminen eine großen Vorteil verschafft. Ich konnte alles verstehen, auch das Geflüster der Leute mit ihren Sitznachbarn. Die türkischen Kommentare zu der Ministerin lauteten ungefähr übersetzt: „Das ist die Ministerin? Die ist doch viel zu normal?! Die fällt noch nicht einmal auf…“
Ich hoffe sehr, das das weiterhin so bleibt.