In einem Meinungsbeitrag wurde über die Möglichkeit verstärkter Einbindung der Bürger in politische Prozesse im Zuge mangelnder Parteienpartizipation und Politikverdrossenheit diskutiert. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt diesen Trend nun und offenbart, dass drei Viertel der Bundesbürger die Debatten im Bundestag nicht verfolgen. (Foto: zaman)
-von forgsight
In Großbritannien ist die öffentliche Fragestunde des Premierministers im altehrwürdigen Parlamentsgebäude Westminster Palace jeden Mittwoch zur Mittagsstunde ein Spektakel, das auch in den landesweiten Pubs übertragen und von der Bevölkerung verfolgt wird. Diese Fragestunden arten dann meist in heftige Debatten aus.
Diese Fragestunde gibt es auch in Deutschland, wo Parlamentarier bei bestimmten Themen die Parlamentarier zur Stellungnahme auffordern können. In der vergangenen Legislaturperiode geschah dies sogar ca 30.000 mal. Verfolgen kann man diese meistens auf dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Phoenix. Allerdings verfolgt gerade einmal ein Viertel der Bundesbürger diese Debatten. Bei der letzten Untersuchung im Jahr 2007 waren es noch doppelt so viele.
Laut Studie der Bertelsmann-Stiftung spiegele sich dies auch in der Aufmerksamkeit der Medien im Allgemeinen wieder. Im Jahr 2014 hätten die Leitmedien gerade einmal 275 mal über die laufenden Bundestagsdebatten. Im Vergleich zum Jahr 2007 sei dies ein Rückgang um 41 Prozent. In Großbritannien seien es dagegen im vergangenen Jahr, doppelt so viele Zeitungberichte gewesen. Sogar die Berichterstattung über wichtige Entscheidungen der DAX-Unternehmen spiele eine größere Rolle als Entscheidungen im Bundestag.
Prekär wird dies für Vertreter der Stiftung, da eine Meinungsbildung in einer Demokratie von öffentlichen Debatten abhängig sei. Erste Gegenmaßnahmen seitens der Bundesregierung wurden bereits in die Wege geleitet. Nach britischem Vorbild, soll ab dem kommenden Jahr jeder Bundesminister dem Parlament mindestens ein mal für eine Stunde Rede und Antwort stehen und dabei auch auf aktuelle Themen Rücksicht nehmen.
Dass es jedoch zu einem Schlagabtausch, wie im House of Parliament kommt, halten Experten für ausgeschlossen. Das gebe das deutsche Parteiensystem nicht her. In Großbritannien werde Politik viel wettbewerbsorientierter betrieben, da man mehr oder weniger ein Zweiparteiensystem hat. Dies sei im “arbeitsorientierten” deutschen Parlament nicht möglich, so die Autoren der Studie.
Um die Parlamentsdebatten für die Bundesbürger interessanter zu machen, schlagen die Autoren Dominik Hierlemann und Ulrich Sieberer deshalb vor, dass sich neben den Ministern auch die Kanzlerin und ihr Vizeminister den Fragen der Parlamentarier stellen. Die Inhalte dieser Fragen sollen Bezug zur aktuellen Regierungspolitik haben, als auch allgemeine Fragen, deren Inhalt vorher nicht festgelegt wird. Gerade durch den letztgenannten Aspekt seien die Politiker mehr gefordert und die Debatte dadurch attraktiver. Die Frage sollte nicht länger als eine Minute lang sein und die Antwort nicht mehr als drei Minuten dauern. Zum besseren Verständnis sollte man Nachfragen erlauben. Fragesteller sollen dabei nicht mehr nur von den Fraktionen bestimmt werden, sondern jeder darf eine Frage stellen. Auch die Bürger sollen dabei über die Medien involviert werden. So sollen sie pro Woche 20 Fragen über die Post oder das Internet einreichen dürfen. (Spiegel-Online/ Bertelsmann/ forgsight)
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