Auf Mars wurde Wasser gefunden, das Voraussetzung für Leben ist. Dann ist Zeit, dass die Soziologie die Zügel in die Hand nimmt. Ab jetzt kann es nämlich gefährlich werden.
Wie würde eine Gesellschaft aussehen, wenn Menschen nicht gehen, sondern Flügel hätten und fliegen könnten? Hätten wir längst eine Weltgemeinschaft, wenn alle Menschen auf der Welt dieselbe Sprache sprächen? Wie sähe die Wirtschaft aus, wenn der Mensch nicht schlafen muss, um sich zu regenerieren?
Zugegeben – das sind merkwürdige Fragen. Aber nicht merkwürdiger als Wasser auf anderen Planeten zu suchen, oder eine goldene Scheibe in einen Satelliten einzubauen, in der Hoffnung, dass sie von einer außerirdischen Zivilisation entdeckt wird. Genauso merkwürdig ist es, dass von Jahr zu Jahr Abermillionen ausgegeben werden, um mit einem Schwarm Radioteleskopen in das Weltall zu horchen, um außerirdische Signale zu entdecken.
Gesellschaftskritik in der Weltraumforschung ist unerwünscht
In der breiten Öffentlichkeit haben sich diese speziellen Teildisziplinen aus den Naturwissenschaften und dem Ingenieurswesen bereits etabliert. Dass die Soziologie sich mit diesen Fragen beschäftigt, ist weitgehend unbekannt. Dabei wurde die Exo-Soziologie, also die Auseinandersetzung mit außerirdischen Gesellschaftsordnungen, bereits 1983 eingeführt.
Der amerikanische Soziologe Jan H. Meyer legte den Vorschlag für diese Teildisziplin vor. Damit scheiterte er. Nicht nur, weil an der Relevanz eines solchen Forschungsfelds gezweifelt wurde. Er passte auch nicht in den damaligen Zeitgeist. Unter dem Eindruck des kalten Kriegs zwischen dem Westen und der Sowjetunion, wurde die Weltraumforschung militärischen Interessen und Zwecken untergeordnet. Gesellschaftskritik, wie sie der Soziologie unterstellt wird, war unerwünscht.
Eine Idee, die einmal ausgesprochen wurde, kann Menschen begeistern. Die Exo-Soziologie wurde nicht nur in den USA fortgesetzt. Auch in Deutschland haben sich Soziologen gefunden, die sich dem Thema auch heute noch annehmen. Im Forschungsnetzwerk Extraterrestische Intelligenz haben sich Soziologen, Psychologen und Kulturwissenschaftler gemeinsam Physiker, Ingenieuren und Biologen zusammengeschlossen, um auch wichtigen Fragen nachzugehen.
Man denke an Galileo Galilei
Die Frage nach der Ordnung außerirdischer Gesellschaften ist spekulativ. Solange keine andere Zivilisation jenseits der Erde bekannt ist, stochert man im Dunkeln. Entscheidender hingegen ist die Frage, welche Auswirkungen es auf unsere eigene Gesellschaftsordnung hat, wenn es zu einem Kontakt mit Außerirdischen kommt.
Man denke daran, zu welcher weitreichenden Zäsur es in der Geschichte der westlichen Kulturen geführt hat, als nur der Platz des Menschen im Universum verschoben wurde. Die Entdeckung des italienischen Astronomen Galileo Galilei, dass die Erde nicht den Mittelpunkt des Universums bildet, sondern selbst um eine Sonne kreist, hat die Weltanschauung einer ganzen Epoche auf den Kopf gestellt. Wenn die Menschheit gezielte Signale von einer fremden Zivilisation erhalten würden, dann würde auf der Erde vermutlich Chaos ausbrechen.
Euphorie versus Angst – Flüchtlinge als Fremde
Denn nicht alle würden die Signale positiv bewerten, die die Tür in eine neue Epoche des Wohlstands öffnen. Ein Teil der Menschen hätte richtig Angst. Womöglich verändern sie ihr Konsumverhalten, setzen ihre Regierung unter Druck, damit sie für ihre Sicherheit garantieren. Politiker, die wiedergewählt werden wollen, würden sich den Ängsten und Sorgen der Menschen annehmen. Manche Medien springen aus Profit oder aus Überzeugung auf den Zug.
Man könnte glauben, dass dieses Szenario unwahrscheinlich ist. Dabei machen wir genau diese Erfahrungen im Rahmen der Flüchtlingsströme. Neben der Euphorie, bei der die Flüchtlinge an den Hauptbahnhöfen mit Applaus empfangen wurden, mehren sich nun die Stimmen der Skeptiker. Angebliche Vergewaltigungen in den Heimen, die Zunahme von Kriminalität oder der Schwarzarbeit dominieren allmählich die öffentlichen Debatten.
Es ist wichtig, dass versucht wird, herauszufinden, ob außerirdisches Leben existiert. Dafür sind Ingenieure und Naturwissenschaftler von großer Bedeutung. Es ist aber genauso wichtig, darauf vorbereitet zu sein, wenn ein solcher Kontakt in der Zukunft tatsächlich stattfindet. Dafür sind die Gesellschaftswissenschaftler von Bedeutung.
Schon lange vor 1983 wurden exo-soziologische Gedankenexperimente durchgeführt, und das nicht zu knapp. Ich meine die Science-Fiction-Literatur. Beispiele?
– Herbert George Wells hat schon 1904 in seiner berühmten „Zeitmaschine“ die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich zu Ende gedacht.
– Ursula K. Le Guin hat 1969 eine Gesellschaft erdacht, die ohne Geschlechterrollen auskommt, weil jeder mal Mann, mal Frau ist, meistens aber geschlechtslos („The Left Hand Of Darkness“).
– 1982 begann Brian W. Aldiss mit seiner „Helliconia“-Trilogie, die nichts weniger behandelt als den Aufstieg und den (Ver-)Fall von Zivilisation.
Vielleicht sollten sich die Soziologen mal die Science Fiction vornehmen, die solche Gedankenexperimente seit über hundert Jahren in großer Zahl durchgespielt hat.