Brasilien: Geld für das Turnier, aber nicht für die Bildung

Ein berauschendes Fußballfest neigt sich in Brasilien so langsam dem Ende zu. Viel wurde spekuliert über die Stimmung im Land wegen der großen Demonstrationen im Vorfeld des Turniers. Forgsight hat junge Brasilianer befragt, wie sie das Turnier erlebt haben und wie es ich langfristig auf die Zukunft ihres Heimatlandes auswirken könnte. (Fotos: Privat)

-von forgsight

Vitor Sousa Domingues ist 26 Jahre alt, Biologe und wohnt in Pedro Leopoldo, im Bundestaat Minas Gerais.

 

1. Was waren deine Gefühle als du gehört hast, dass dein Heimatland Brasilien die Fußballweltmeisterschaft und die olympischen Spiele 2016 ausrichten wird?

Ich denke, es war die logische Schlussfolgerung des Bildes Brasiliens als Entwicklungsland, welches die Wirtschaftskrise abschüttelt und sich der Welt zeigt, indem es die Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele ausrichtet. Zu diesem Zeitpunkt habe ich dem ganzen eher wenig Beachtung geschenkt, und ich dachte, wir wären wirklich dazu fähig die Weltmeisterschaft mit einer guten Infrastruktur auszurichten. Ich nahm an, die Regierung könne diese Herausforderung in den Griff bekommen, wenn sie sich einmal auf das Thema konzentrieren würde, auch wenn es nicht unser Hauptanliegen in dem Moment war.

2. Wie hast du die Stimmung im Land während der WM beurteilt?

Die meisten brasilianischen Städte sind mit dieser Masse an ausländischen Touristen vorher gar nicht vertraut gewesen, so dass es eine große Möglichkeit des kulturellen Austausches und der Völkerverständigung ist. Ich denke, es war eine tolle Atmosphäre, die vielen Leuten die Möglichkeit gab, etwas Neues zu lernen und Dinge zu erleben, die sie möglicherweise so nicht erwartet hätten, auch wenn wir als Land vielleicht nicht so bereit waren, um es komplett zu genießen. Für mich war klar, dass wir Brasilianer unsere ausländischen Besucher gastfreundlich empfangen werden, auch wenn mich ein paar Buhrufe und Beleidigungen gestört haben. Brasilianer lieben es zu feiern und die Weltmeisterschaft ist eine Party, so dass es von vornherein nicht hätte schlecht sein können. Aber vor Ort können sich ausländische Besucher ein Bild von den Problemen unseres Landes machen , die unter den Teppich gekehrt werden. Schon vorher befürchtete ich, dass die Korruption steigen würde, und das hat sich im Laufe des Turniers bestätigt. Jedoch hätte ich mir niemals vorstellen können, dass so viele Stadien nicht rechtzeitig fertig werden oder dass es zu Unglücken kommt, wie beim zusammengestürzten Viadukt (in Belo Horizonte, der Hauptstadt von Minas Garais sind am 4. Juli drei Menschen deshalb ums Leben gekommen). Gleichzeitig können wir gemeinsame Werte mit anderen Völkern erkennen, bei denen wir gedacht haben, wir hätten sie exklusiv. Außerdem versuchen sich die Brasilianer mit einem Balanceakt zwischen politischer Unzufriedenheit und Leidenschaft für den Fußball, welcher bisher ja immer genutzt wurde, um sich von der Politik zu distanzieren

3. Welche Nachteile siehst du durch die Austragung der WM (und Olympia 2016 in Rio de Janeiro) für das Land Brasilien hinsichtlich seiner wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung?

Viel Geld wurde während der Arbeiten zur Weltmeisterschaft geklaut, und es wurde erwartet, dass dieses Turnier gerade wegen der Korruption erst in unserem Land stattfinden kann. Brasilien war für seine Verhältnisse bestens auf das Turnier vorbereitet und andere Prioritäten, wie Bildung und Gesundheit mussten darunter leiden, wogegen auch die Bevölkerung demonstriert. Das sind unsere größten Probleme.

4. Welche Vorteile?

Diese beiden Großereignisse können der Welt alle Werte und Eigenschaften eines Landes zeigen und auch auf die Probleme und Sorgen der Bevölkerung aufmerksam machen. Trotz unserer wunderschönen Natur, haben wir weniger Touristen als Argentinien. Es wäre ein herausragendes Marketing für unser Land. Dass viele Dinge spät fertiggestellt werden würden, war vorhersehbar. Sowas passiert immer in Brasilien. Es könnte auch helfen unsere infrastrukturellen Probleme in den Griff zu bekommen oder Investitionen schneller zu tätigen.

Weitere Portraits und Eindrücke finden Sie hier:

Brasilien: Bangen und Begeisterung zugleich

Brasilien: Kultureller Austausch, aber Vernachlässigung der Armen