Immer mehr Arbeiterkinder mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland beginnen eine Hochschulausbildung. Wie kommen die Kinder damit klar, wie ihre Familien? (Foto: cihan)
-von Anja Jöhring
Immer mehr Arbeiterkinder mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland beginnen eine Hochschulausbildung. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, welche Einflüsse zu der Entscheidung beitragen, ein Hochschulstudium zu absolvieren, sondern auch, ob Bildungsaufsteiger je zur Bildungselite gehören werden. Diese beiden Fragen wurden in den jeweiligen Diskussionsrunden des World-Cafés „Hochschulsysteme – Elitenausbildung oder Bildungsgerechtigkeit?“ am 30.04.2014 angesprochen.
Einflussfaktoren auf die Studienentscheidung
Im Verlauf der Diskussionsrunden wurden neben dem finanziellen Aspekt und dem damit verbundenen Sicherheitsgefühl, welches mit der Entscheidung ein Studium aufzunehmen aufgegeben wird, als mögliche Einflussfaktoren genannt. Auch der Wunsch nach Anerkennung war für die TeilnehmerInnen ein wichtiger Faktor, der die Entscheidung ein Studium zu absolvieren, beeinflusst. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Annahme, dass der soziale Status der StudentInnen immer weniger Einfluss auf die Entscheidung, ein Studium zu absolvieren, hat, verworfen werden kann. Der soziale Status hat auch weiterhin Einfluss auf die Entscheidung ein Studium zu ergreifen.
Familie und Studium
Durch die Sozialisation werden vor allem von den Eltern gegenüber den Kindern Signale frei, die diese Entscheidung maßgeblich beeinflussen. Die Aussage „Du sollst es später mal besser haben als wir“, setzt zum Beispiel so einen Ansporn, bereits während der Schulzeit sein Bestes zu geben und somit die Voraussetzungen für ein Hochschulstudium zu erlangen. Auch wird Kindern immer weiter eingebläut, dass diese sich dann über die Zukunft keine Sorgen mehr machen bräuchten, da sie durch einen höheren Bildungsabschluss finanziell abgesichert wären. In der Diskussion hat sich im weiteren Verlauf herauskristallisiert, dass die eigenen Kinder für ihre Eltern ein Vorführ-Objekt werden können. Dadurch, dass ihre Kinder ein Studium absolvieren, gelangen sie immer mehr vor Verwandten, Freunden und Bekannten ins Rampenlicht.
Doch inwiefern nehmen Eltern Einfluss auf das Studienfach ihres Kindes? Die Eltern bestimmen beziehungsweise beeinflussen nicht immer die Wahl des Studienfaches ihres Nachwuchses. Doch wenn sie es tun, so waren sich die DiskussionsteilnehmerInnen einig, hat dies weitreichende Folgen auf ihre weitere Laufbahn. Die Wahl ein Studium aufzunehmen, welches nicht den eigenen persönlichen Interessen und Fähigkeiten entspricht, führt tendenziell eher dazu, zu scheitern. Um ein solches Scheitern zu verhindern, sollten sich die Eltern daher nicht in die Berufs- und Studienwahl ihrer Kinder einmischen, sondern ihre Fähigkeiten und Interessen fördern.
Abgrenzung von der eigenen Herkunft
Obwohl seitens der Familie die Studienentscheidung beeinflusst wird, ob bewusst oder unbewusst, durch Ablehnung oder Zustimmung, kommt es mit dem Eintritt in das Studentenleben von Arbeiterkindern mit oder ohne Migrationshintergrund gleichzeitig zu einer Entfremdung von der eigenen Familie. Diese Entfremdung lässt sich darauf zurückführen, dass zwischen Eltern und Kindern keine gemeinsamen Erfahrungen in Bezug auf den Studienverlauf und den Studienalltag ausgetauscht werden können. Vor allem aber kam in einer Beobachtung eines Diskussionsteilnehmers zum Ausdruck, dass Eltern von Arbeiterkindern nicht so sehr an den Studieninhalten interessiert wären sondern eher daran, dass ein Hochschulabschluss erlangt wird.
Der Habitus als Eintrittskarte
Um zur Bildungselite dazuzugehören, entfremden sich die Studierenden von ihrer Familie immer weiter und versuchen gleichzeitig, sich an die Gegebenheiten und Verhaltensweisen der Akademikerkreise anzupassen. Doch eine abgeschlossene Anpassung, so waren sich die TeilnehmerInnen einig, sei nicht möglich. BildungsaufsteigerInnen fehlt inkorporiertes soziales und kulturelles Kapital, um vollständig zur Bildungselite dazuzugehören. Es kann zwar die Kommunikation, nicht aber das Verhalten erlernt werden. Aufgrunddessen ist es BildungsaufsteigerInnen nicht oder nur in den seltensten Fällen möglich, ihre Herkunft zu verschleiern und sich an die Bildungselite anzupassen.
Gegenbegriff Bildungsabsteiger
In der Diskussionsgruppe kam die Frage auf, mit welchen gesellschaftlichen Problemen Arbeiterkinder, die durch ihre universitäre Ausbildung sozial aufsteigen und Akademikerkinder, die sich hingegen für berufliche Ausbildung entscheiden, zu kämpfen haben. Daraus ergab sich in der Diskussion die Annahme, dass die Arbeiterkinder, mit oder ohne Migrationshintergrund, einen mittelständischen Habitus besitzen müssen, um in der Hochschule bestehen zu können. Des Weiteren wird von ihnen verlangt, im Studienalltag zu „funktionieren“. Ihnen wird in dieser Hinsicht viel mehr abverlangt als Akademikerkindern, die sich bereits in diesen Kreisen befinden und dementsprechend agieren können. Akademikerkinder, die bereits aus diesen Kreisen stammen und sich dafür entscheiden eine berufliche Ausbildung abzuschließen, haben mit dem sozialen Erwartungsdruck in der Familie und deren Bekanntenkreis zu kämpfen.
Obwohl das Phänomen der Bildungsabsteiger eher die Ausnahme als ein Regelfall ist, lässt sich aus den Diskussionen des dritten Begegnungsraumes annehmen, dass Akademikerkinder, die keinen Hochschulabschluss anstreben, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, wie Arbeiterkinder, die einen Hochschulabschluss verfolgen. Beide Gruppen verfolgen das Ziel gesellschaftlicher Annerkennung und Akzeptanz. Die einen versuchen dieses Ziel durch Anpassung zu erreichen. Die anderen streben dieses Ziel an, indem sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen, um ihre Entscheidung gegenüber ihrer Familie zu rechtfertigen.
*Diese Veranstaltungsreihe ist entstanden im Rahmen des Projekts „TRANSVER Of ensive“ (www.transveroffensive.de). Das Projekt verfolgt das Ziel, Matchingprozesse zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Organisationen zu verbessern, Vorurteile und Barrieren abzubauen und Ressourcen zu aktivieren, um Diskriminierung insbesondere auf dem Arbeitsmarkt abzuwehren und solchen entgegenzuwirken. Es wird gefördert im Rahmen des XENOS-Programms „Integration und Vielfalt“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds.