Douglas C. Engelbart, Tim Berners-Lee, Alan Turing. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber! Sie alle trugen zur Veränderung unserer Gesellschaft und zur Optimierung unseres Alltags bei. In unserer neuen Serie über „vergessene Genies“ stellen wir auf forgsight Persönlichkeiten vor, die durch ihre Taten und Ideen unsere Gesellschaft vorangetrieben haben.
In all dem Trubel um die Verfilmung von „50 Shades of Grey“ geht ein Film dieser Tage etwas unter. Die für acht Oscars nominierte britische Produktion „The Imitation Game“ mit Benedict Cumberbatch und Keira Knighley beleuchtet das Leben des Mathematikers Alan Turing. Dieser war lange Zeit nur Naturwissenschaftlern und Historikern ein Begriff. Kein Wunder – wurden Akten über seine Tätigkeit über 50 Jahre vom Britischen MI6 unter Verschluss gehalten.
So zeichnet Regisseur Morten Tyldum das Porträt eines Mannes, der durch seine Arbeit den Zweiten Weltkrieg um gut zwei Jahre verkürzt hat, damit ca. 14 Millionen Menschenleben gerettet hat, dabei mit der nach ihm benannten „Turingmaschine“ ein Grundsteinleger für den Computer war und letztendlich an den gesellschaftlichen Zwängen der damaligen Zeit zu Grunde gegangen ist.
Der Sohn eines Beamten im höheren Dienst beim India Civil Service, zeigte schon im frühesten Kindesalter seine Begabung. So brachte er sich als Kleinkind innerhalb von drei Wochen das Lesen bei und entwickelte auch eine Leidenschaft für Rätsel, die sein ganzes Leben bestimmen sollte. Sein erster Schultag am Gymnasium fand zeitgleich mit einem Generalstreik statt, so dass er die gut 100 Kilometer von Southampton bis zur Knabenschule in Dorset mit dem Fahrrad zurücklegte und dabei, so berichtete es die Lokalpresse, nur einmal an einem Lokal Halt machte.
Während der Schulzeit galt Turing als isoliert. Mitschüler mieden und malträtierten ihn, und von den Lehrern, die ihre Schwerpunkte eher in den Geisteswissenschaften hatten, wurde er kritisch beäugt. Dabei unterforderte ihn der Unterricht schlichtweg. Ohne irgendwelche Vorkenntnisse, konnte er Aufgaben der Infinitesimalrechnung spielend lösen.
Zum Studium zog es ihn anschließend an das renommierte King’s College in Cambridge, wo er unter Godfrey Harold Harley am Zentrum für Mathematik forschte. Grundlegend er für sein Lebenswerk sollte die Schrift On Computable Numbers, with an Application to the „Entscheidungsproblem“ aus dem Jahr 1936 sein, wo er die Thesen Kurt Gödels umformulierte. Turing demonstrierte, dass seine Maschinen in der Lage ist „jedes vorstellbare mathematische Problem zu lösen, sofern dieses auch durch einen Algorithmus gelöst werden kann“. Es sei durch Algorithmen nicht möglich vorzubestimmen, wann und ob seine Maschine zum Stillstand kommt. Er wies auf die Unvollständigkeit der Mathematik hin. So gebe es in der Mathematik keine absolute Wahrheit. Die Turingmaschinen bilden bis heute als Vorreiter der theoretischen Informatik und grundlegend für heutige Computer.
Diesen „nicht-lösbaren Problemen“ widmete er sich während seines Studiums in den Vereinigten Staaten an der Princeton Universität, wo er Ende der 1930er Jahreseinen Doktortitel erhalten sollte. Die Turingmaschinen sollten sich fortan der Aufgabe widmen, komplexe Probleme zu lösen.
Seine Sternstunde sollte während des Zweiten Weltkriegs schlagen, als sich Großbritannien im deutschen Bombenhagel lange Zeit alleine gegen eine Niederlage stemmte. Die Briten konnten ein Exemplar der deutschen Dechiffriermaschine Enigma (griechisch. „Rätsel“) aus dem deutschen Reich schmuggeln. In der streng geheimen Abhörstation Betchley Park arbeiteten Mathematiker und Linguisten Tag und Nacht unermüdlich daran, die deutsche Dechiffriermaschine zu knacken und somit den Deutschen einen Schritt voraus zu sein.
Mithilfe seiner Kenntnisse konnte die deutsche Verschlüsselung geknackt werden. Ein erweiterter Prototyp der Turningmaschine wurde „Bombe“ genannt, weil sie im Zuge komplexer Rechenleistungen wie eine Bombe Tickgeräusche von sich gaben. Die Maschine untersuchte die dechiffrierten Nachrichten der Enigma nach Gemeinsamkeiten und Widersprüchlichkeiten herauszufiltern und so die sich täglich wechselnden Schlüssel zu entziffern.
Mithilfe der Entschlüsselung der Enigma konnte Großbritannien nicht nur die Schlachten im Atlantik und in Nordafrika gewinnen, sondern auch maßgeblich dazu beitragen, dass die Invasion der Alliierten in der Normandie reibungslos ablaufen konnte. Das Schicksal von Millionen Kriegsopfern lag buchstäblich in den Händen der Experten in Betchley Park. Um die Deutschen keinen Verdacht schöpfen zu lassen, dass man die Enigma geknackt hat, mussten tausende Kollateralopfer in Kauf genommen werden.
Nach dem Krieg – Turing und seine Kollegen wurden zur Verschwiegenheit aufgerufen – war er maßgeblich an der Entwicklung der ersten Computer beteiligt. An der University of Manchester wurde er Direktor des Lehrstuhls für Computer im Jahr 1948. Die Entwicklung der ersten Software für den Computer der Universität war auch sein Verdienst. Der nach ihm benannte Turing-Test, auf dem auch seine Maschine basiert, ist Indikator für künstliche Intelligenz. Anhand des Tests lässt sich feststellen, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch. 1952 schrieb er ein Schachprogramm, auch wenn es noch keine Computer gab, die die Leistung hätten aufbringen können, dieses auszuführen.
Im selben Jahr wurde Turing von einem Stricher verraten. Zu dieser Zeit galt Homosexualität in Westeuropa noch als verboten. Infolgedessen wurde Turing der Lehrstuhl an der Universität entzogen und er wurde vor die Wahl gestellt, entweder ins Gefängnis zu gehen, oder sich einer Therapie zu unterziehen. Die Hormontherapie führte bei Turning zu einer Depression, die 1954 zu seinem Selbstmord führten.
Nachdem erst Anfang der 2000er Bürgerrechtler auf sein Schicksal aufmerksam machten und Unterschriften sammelten, entschuldigte sich der damalige Britische Premierminister Gordon Brown erst 2009. Insgesamt wurden im Zuge des Criminal Law Amentment Acts 49.000 Homosexuelle verurteilt.
Im „Turing-Jahr 2012“ fanden zu Alan Turings hundertstem Geburtstag weltweit Veranstaltungen zur Würdigung seiner Leistungen und zum Gedenken daran statt. Ein Jahr später wurde er von der Königin offiziell rehabilitiert.
Alan Turing war für mich immer einer frühen Helden der Computer-Ära, etwa wie Konrad Zuse oder Charles Babbage. Von der Verfolgung wegen seiner Homosexualität habe ich bisher nie gehört, deswegen danke für diesen Beitrag. Je mehr man über die Vergangenheit weiß, desto klarer wird der Blick auf die Gegenwart.