Städte: Erst wachsen, dann schrumpfen

In seiner jüngsten Studie weist das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hin, dass Großstädte auf Kosten der ländlichen Regionen wachsen. Das ist frustrierend, meint Kamuran Sezer. (Foto: Tbachner)

Erlauben Sie mir bitte, Frust abzulassen. Ich übe eine Tätigkeit aus, die ein hohes Frustrationspotenzial voraussetzt, weil diese Tätigkeitskategorie unbekannt ist, vielleicht sogar wenig geschätzt wird.

Als Analyst arbeitet man wie ein Wissenschaftler, denkt wie ein Politiker und kommuniziert wie ein Journalist. Dies führt zu vielfachen Missverständnissen und Enttäuschungen: Die Methoden, die man einsetzt, werden kritisiert, weil sie der vermeintlich präzisen Genauigkeit der Wissenschaft nicht genügen. Die Prognosen, die man aus den Analysen ableitet, werden als politische Meinungen missverstanden. Und als Journalist wird man nicht ernst genommen, weil man eben nicht wie ein Journalist schreibt.

Die Sternstunden von Analysten sind oft “Katastrophen”, die eintreten, vor denen man aber vor Jahren gewarnt oder zumindest warnend hingewiesen hat. Dazu gehören auch die Erkenntnisse aus der jüngsten Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BSSR): Der zufolge wachsen die Städte auf Kosten der ländlichen Regionen aber auch auf Kosten der Klein- und Mittelstädte.

Quelle: Facebook Kamuran Sezer
Quelle: Facebook Kamuran Sezer

 

Von 2008 bis 2013 sind Großstädte wie Frankfurt am Main, Darmstadt und München gewachsen. Diese Entwicklung zwischen Stadt und Land kann noch deutlicher in Ostdeutschland beobachtet werden. Vor allem die ländlichen Regionen dort verlieren nicht nur viele Einwohner nach Westdeutschland, viele ziehen auch in die ostdeutschen Städte. Im gleichen Zeitraum sind Leipzig, Potsdam und Dresden gewachsen und gehören zu den zehn wichtigsten Metropolregionen in Deutschland.

Die Schrumpfung und Alterung der deutschen Bevölkerung verursacht genau diese Ambivalenz: Weil die Zahl der Einwohner geringer wird, bewegen sich die Menschen, die es sich finanziell und gesundheitlich leisten können, dorthin wo andere Menschen leben, weil die Versorgung und Infrastruktur sehr gut ist.

Auf diese Weise werden die ländlichen Gebiete zwischen den Metropolregionen ausdünnen. In einigen Jahren aber wird die Schrumpfung der Bevölkerung auch die Großstädte und Metropolregionen erreichen – wenn endlich nicht gegengesteuert wird!

Quelle: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Home/Topthemen/wachsend_schrumpfend.html
Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

 

Diese Schrumpfung kann nicht mehr durch die Einwanderung gestoppt werden, wie es das BBSR als Maßnahme vorschlägt. Auch dann nicht, wenn die deutsche Gesellschaft auf hohem Niveau eine großzügige Einwanderung akzeptieren würde. Der Zug ist reinrechnerisch abgefahren und physikalisch nicht mehr möglich.

Hieraus ergeben sich neben der offenen Einwanderung auch politpraktische Implikationen für eine zukunftsorientierte Familienpolitik, um die Effekte des demografischen Wandels abmildern zu können. Bis dahin muss die Überversorgung der Großstädte und Metropolregionen kompensiert werden. Dazu gehört, dass bestehende Wohnflächen effektiver genutzt werden müssen, wie es das Eduard Pestel-Institut in seiner jüngsten Immobilienstudie hingewiesen hat.

“Bauen, bauen und noch einmal bauen kann keine zukunftsfähige Lösung sein.”

Matthias Günther, Leiter des Eduard Pestel-Instituts, führte bereits am Beispiel von Nordwestdeutschland an, dass weiterer Wohnungsbau notwendig ist, mahnt aber: “Bauen, bauen und noch einmal bauen kann keine zukunftsfähige Lösung sein. Allein der gigantische Materialumsatz und die zusätzlich zu versiegelnden Flächen sprechen dagegen. […] Nach aktuellem Stand haben wir in Westdeutschland gegenwärtig einen Wohnkonsum von 47 qm je Einwohner. Dies betrug Anfang der 1950er 12 Quadratmetern, in den 1970ern 23 Quadratmetern und 1987 rd. 35 Quadratmetern.”

Gleichzeitig muss die Versorgung der ländlichen Gebiete stabilisiert werden. Neue Konzepte der Logistik und Warenverkehrs müssen her, die regional sinnvoll und ökonomisch selbsttragend sind. Entsprechend warnt der BBSR-Direktor Harald Herrmann, dass schrumpfende Kommunen besonders unter Druck stehen, ihre soziale und technische Infrastruktur an eine sich ändernde Nachfrage anzupassen. Es gelte, vor allem die die Klein- und Mittelstädte in dünn besiedelten Regionen in ihrer Versorgungsfunktion für die umliegenden Gemeinden zu stärken und dort wichtige Infrastruktur zu bündeln, so Herrmann weiter.

Eine fundamentale Maßnahme zur Sicherung der Zukunftsfestigkeit dieses Landes bestünde vielleicht auch darin, den Analysten, die sich zwischen Wissenschaftler, Politiker und Journalisten bewegen und mit ganz anderen Methoden arbeiten, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.  

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  1. forgsight.com – Soziologen: Von altruistischen Proteststrickern zu modernen Gesellschaftsingenieuren

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