Die Architekten des Industriezeitalters waren Ingenieure. Die Wissensgesellschaft benötigt aber Soziologen, doch dafür müssen sie ihr muffiges Selbstverständnis modernisieren, fordert Kamuran Sezer. (Foto: Mike Herbst)
Computer kann man anfassen. Autos auch. Das Handy sowieso. Wenn ich im Auto sitze und mit dem Fuß auf das Pedal rechts drücke, dann bewegt sich das Gefährt fort, sofern ich die richtige Gangschaltung mit der rechten Hand eingelegt habe.
So ist unsere Welt, in der wir uns bewegen. Unsere Nummer wird am Bildschirm angezeigt, wir gehen dann zum genannten Schalter im Einwohnermeldeamt. Wir wollen ins fünfte Stockwerk, dann drücken wir im Fahrstuhl auf die Ziffer 5, die leuchtet, wenn wir sie betätigt haben. Springt die Ampel von Rot auf Grün, dann gehen wir über die Straße.
Dreckig und unfair
Es ist überflüssig, zu wissen, dass weltweit Tausende von Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer an der Entwicklung, Vermarktung und Durchsetzung dieser Technologien über Jahrzehnte gearbeitet haben. Ich will Kaffee trinken?
Kein Problem, ich lege ein Kaffeepad ein und drücke auf den Knopf der Maschine. Das Brummen, Schlürfen und Vibrieren der Maschine lassen mich wissen, dass ich gleich meinen Kaffee in der Gewissheit genießen darf, dass der Entwickler eine gute Arbeit geleistet hat.
Dieses positive und warme Gefühl kann ein Soziologe bei den Menschen in den seltensten Fällen erzeugen. Es fehlt die Unmittelbarkeit der Nutzstiftung seiner Arbeit. Schwieriger noch… Sollen die Ergebnisse eines Soziologen in der Praxis zur Anwendung kommen, dann wird es politisch – und damit oft dreckig und unfair. Beispiele?
Die absehbare Multikulturalisierung der deutschen Gesellschaft tangiert die Programmatik und Ideologie konservativer und rechter Parteien fundamental. Der Widerstand ist absehbar. Entsprechende Stiftungen und parteinahe Forscher sagen in ihren Studien zudem etwas anderes, sogar Gegenteiliges.
Türkischstämmiger Bundeskanzler der CDU
Die Flexibilisierung der Arbeit ist ein Thema, das bei den Gewerkschaften Kopfschütteln auslöst. Die entsprechenden Stiftungen und gewerkschaftsnahen Forscher sehen in der Flexibilisierung der Arbeitswelt das Resultat eines rauen Kapitalismus’.
Durch den demografischen Wandel werden die Städte auf Kosten der ländlichen Regionen wachsen. Die Interessenverbände von Immobilienmakler empören sich und zeigen anhand einer Studie, dass in den vergangenen Jahrzehnten, die ländlichen Regionen durch eine rege Bautätigkeit sich prächtig entwickelt haben.
Inzwischen sucht die CDU den türkischstämmigen Bundeskanzler der Zukunft. Die Gewerkschaften verabschieden sich stillschweigend vom sozialversicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnis. Auch müssen die Akteure der Immobilienbranche einsehen, dass in den ländlichen Regionen über den Bedarf hinaus Wohnraum geschaffen wurde.
Die Soziologie ist mit drei wesentlichen Problematiken konfrontiert:
Erstens, sein Wissen tangiert unmittelbar Herrschafts- und Besitzverhältnisse von Gruppen. Der Einwand und Widerstand jener Gruppen, für die ein Nachteil sich ergeben könnte, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zweitens, die Nutzstiftung durch das Wissen des Soziologen ist nicht unmittelbar. Während man mit einem Druck auf dem Knopf an der Kaffeemaschine ein erwünschtes Resultat erzielen kann, kann man an den Produkten der Soziologie sehr lange nach Knöpfen suchen.
Damit kommen wir zu Drittens. Die Soziologie bietet keine einfachen Antworten oder einfache Handreichungen: Tue dies, dann passiert das. Schreibe das, dann erwarte jenes.
Konkurrierende Ideen und Innovationen müssen erklärt werden
Diese beschriebenen Schwächen der Soziologie sind aber genau genommen ihre Stärken in der Wissensgesellschaft. Die Industrie in fortgeschrittenen Gesellschaften verändert sich. Während die arbeitsintensive Produktion in Länder mit niedrigen Arbeitskosten abwandern, bleiben hier wissensintensive Tätigkeit.
Die Organisation von Wissen und Innovation, Weiterbildung und Motivation von Mitarbeitern, Arbeitsorganisation, Einsatz und Planung von Technik, Kommunikation und Vermarktung sowie Forschung und Entwicklung setzen die Tätigkeitsinhalte von Soziologen voraus:
Konkurrierende Ideen, Innovationen und Strategien sowie die damit verbundenen Veränderungen müssen erklärt und durchgesetzt werden können. Dabei ist dies ein Prozess, der viel Zeit und auch Rückschläge erfordert, weil die erwarteten Nutzen nicht unmittelbar einsetzen. Investitionen verhalten sich in diesen Rahmenbedingungen ganz anders als bei einer industriellen Produktion.
Doch dafür müssen die Vertreter der Soziologie an ihrer Disziplin, akademischen Ausbildung, ihren Berufsbildern und vor allem an ihr Image arbeiten. Der häkelnde Proteststricker, der aus Altruismus und politischer Motivation die zum Tode betrübten Ungerechtigkeiten dieser Welt verändern möchte, muss dem Gesellschaftsingenieur ausweichen. Zumal Pragmatismus oft der Anstoß für Veränderungen ist.