Rap am Mittwoch: Totale Meinungsfreiheit! (Bildergalerie)

Rap ist in Deutschland zurück. Dafür ist die Eventreihe “Rap am Mittwoch” verantwortlich. Nicht zuletzt wegen einer dramatischen Szene, die in den sozialen Medien für helle Aufregung gesorgt hat. Ein Protokoll. (Foto/Bildergalerie: YouTube/Rap am Mittwoch)

“Seid ma’ jetzt alle ruhig!!!” schreit der Moderator seinem Publikum zu, das sofort mit “Hey!” erwidert. Auf einer anderen Veranstaltung hätte eine solche Intervention des Moderators zu ablehnenden Buh-Rufen durch das Publikum geführt. Bei “Rap am Mittwoch” ist es aber anders. Es ist ein Ritual, vielmehr ein stillschweigendes Abkommen zwischen dem Moderator und seinem Publikum.

Bevor Ben Salomo, der Moderator dieser Veranstaltung ein Battle zwischen zwei Rappern ankündigt, macht er von diesem Abkommen Gebrauch: “Seid ma’ jetzt alle ruhig!!!” – “Hey!!!” Schon ist das Publikum gebändigt, um in aller Ruhe und Würdigung die nächsten Rap-Künstler auf die Bühne zu rufen.   

“Juden-Lines!” – “Auch unsportlich!?”

Doch dieses eine Mal ist es ganz anders. Ben Salomo greift auf das Abkommen zwischen ihm und seinem Publikum zurück, um nicht die nächsten Rapper einzuführen. Das Publikum ist aufgewühlt. Eine aggressive Stimmung ist aufgeflammt, die der Moderator beruhigen muss. “Wie oft habt ihr gelacht, als Juden-Lines da waren?”, fragt Salomo mit besorgter Miene das Publikum.

“Wie oft habt ihr gelacht, als Schwulen-Lines da waren? Wie oft habt ihr gelacht, als Schwarze-Lines da waren? Ey – das ist hier eine Bühne. Hier wird über jeden und alles gelacht. Das musst Du verstehen. Sonst bist du beim Battle-Rap… irgendwie… äh… zu sensibel.”, spricht Salomo einen Zuschauer aus dem Publikum direkt an, der sich über den letzten Battle-Rap aufgeregt zu haben scheint. “Was ist daran unsportlich? [..] Bei den Juden-Lines auch unsportlich..!? Da nicht..! Ah… Aha… Okay…! Auch unsportlich?! Alles ist unsportlich!? [..] Bei Frauen-Lines unsportlich!? Da nicht…! (Das Publikum protestiert.) Digger! Entweder alles! Oder nichts! Entweder alles! Oder nichts!”

Was ist passiert?

Ben Salomo ist Veranstalter von “Rap am Mittwoch”. Nach dem Vorbild amerikanischer Battle-Raps, in denen zwei Rap-Künstler gegeneinander auftreten, bringt “Rap am Mittwoch” deutsche Rap-Talente auf die Bühne. Nach einer Vorrunde und Halbfinale treten die besten Rapper im Finale gegeneinander an. An dem Abend, an dem Ben Salomo auf außergewöhnliche Weise seinem Publikum entgegentreten ist, lieferten sich die Rapper “Gugo” und “Finch” einen harten Schlagabtausch, der für einige nicht akzeptabel war.

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Doch genau jetzt fängt es richtig an. Ein Paar Zuschauer waren erbost über die “Lines”, die Gugo und Finch sich um die Ohren gehauen haben. Ben Salomo ist gezwungen einzuschreiten. Finch verhält sich abwehrend und weicht aus. Gugo macht deutlich, dass es nicht seine Fans sind, die da rumpöbeln. Nachdem Salomo seine Rolle als Moderator gefangen hat, geht er in die Offensive. Seinen Vortrag, der oben begonnen wurde, setzt er fort.

“Erst wenn wir gelernt haben, über uns alle gegenseitig zu lachen. Und dabei keine kleinen Eier bekommen. Erst dann haben wir Normalität in diesem Land und in unserer gemeinsamen Hip Hop-Kultur erreicht.” Das Publikum jubelt.

Gänsehaut-Moment

Das ist eine eindrucksvolle Szene, deren Zeuge das Publikum wurde. Es war ein Gänsehaut-Moment, wie es nur das richtige Leben schreiben konnte. Vor allem zeigt dieser Augenblick, dass Hip Hop in Deutschland zurück ist.

Rap versteht sich als die “Sprache der Straße”. Dabei geht es nicht darum, eine fiktive Gangster-Kult zu zelebrieren, wie sie bei vielen kommerziell erfolgreichen Rappern rund um Bushido, Sido oder Haftbefehl inszeniert wird. Rap ist, wenn das Lebensgefühl einer Generation unverhohlen und unverfälscht in Worte, Reime und Bilder verpackt werden, die aus dem Netz sozialer, politischer und medialer Repräsentation herausgefallen sind, weil sie nicht zu den Privilegierten gehören.

Heute ist Rap nicht arm und unterprivilegiert

Rap ist eine Plattform, auf der sich Menschen wieder finden, die das gleiche Schicksal teilen und das Gleiche fühlen, aber erst durch Rap erfahren haben, dass es auch andere gibt, die genau wie sie leben, denken und fühlen. Rap ist beispielsweise Advanced Chemistry, dessen Mitglieder zum ersten Mal die Frage nach der Identität von ausländischen Jugendlichen in Deutschland aufgeworfen haben. Rap ist auch Cartel, die dem Selbst-Bewusstsein der türkischen Jugend in Deutschland eine Gestalt gegeben hat.

Heute ist die Rapkultur und ihre Gemeinschaft nicht zwingend arm und unterprivilegiert. Sie ist heute bunter. Sie vereint die Jugend aus den Armenvierteln deutscher Großstädte mit den Kindern aus Lehrerhaushalten, die in einem Reihenhaus leben. Sie ist deswegen kontroverser aber auch kreativer geworden, weil Lebenstile, Sprachen und Überzeugungen aufeinanderprallen. Und “Rap am Mittwoch” ist die Bühne für diese Generation geworden. Vielen Dank dafür!

Den Schlagabtausch zwischen Finch und Gugo sowie die Intervention von Ben Salomo kann hier gesehen werden (YouTube).