Onur Güntürkün ist Hirnforscher an der Ruhr-Universität Bochum. Er erhielt viele Auszeichnungen aus der Wissenschafts-Szene. Das Erforschen der Funktionsweise des Gehirns ist ihm dennoch wichtiger als diese Auszeichnungen. Das Leben eines deutsch-türkischen Professors im Porträt.
“Als Kind mit erspartem Geld Mikroskop gekauft”
Onur Güntürkün ist 1958 in der türkischen Großstadt Izmir geboren. Heute arbeitet er an der Ruhr-Universität Bochum als Hirnforscher. Sein Leben dreht sich nur um die Wissenschaften. Schon als kleines Kind habe er kleine Käfer gefangen, diese mit Labyrinthen konfrontiert und geguckt, wie sie mit ihnen zurechtkommen, sagte er einst dem Deutsch-Türkischem-Journal. “Ich habe geschaut, ob meine Aquarienfische Farben sehen können und habe versucht, das auf der Grundlage von Experimenten herauszufinden.” Für kleine Tätigkeiten im Haus habe er von seiner Mutter immer ein bisschen Taschengeld erhalten und mit dem angesparten Geld sich ein Mikroskop gekauft. Seine Erfahrungen mit diesem Mikroskop schildert er wie folgt: “Damit habe ich mir die Dinge angesehen, die ich mit dem normalen Auge nicht sehen konnte. Das Gesehene habe ich dann in Zeichnungen festgehalten. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jemals etwas anderes gemacht habe, als das, was ich jetzt mache. Jetzt mache ich es nur professioneller. Das ist der einzige Unterschied.” In der Tat: Er macht diese wissenschatliche Arbeit in seiner Kindheit nun tatsächlich professioneller. So professionell, dass er nicht selten Preise damit verdient. Zuletzt erhielt er im Dezember 2012 das deutsche Pendant zum Nobelpreis, nämlich den “Leibniz-Preis”. Mit dem Preis würdigt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) herausragende Forscher, die frühzeitig exzellente grundlegende Leistungen auf ihren Arbeitsgebieten erbracht haben und von denen erwartet wird, dass sie die Forschungslandschaft in Deutschland nachhaltig prägen werden.
“Wie wird das Gehörte in Bedeutung umgewandelt”
Wahrnehmen, Lernen und Entscheiden – wie das Gehirn diese Prozesse hervorbringt, untersucht Onur Güntürkün auf der Verhaltensebene, neuroanatomisch sowie mit elektrophysiologischen und bildgebenden Verfahren. Dabei interessiert er sich vor allem für die Asymmetrie zwischen linker und rechter Gehirnhälfte. Primär arbeitet der Biopsychologe mit Tauben, da ihr Sehsystem ähnliche Rechts-Links-Unterschiede aufweise wie das des Menschen – sowohl anatomisch als auch funktionell. In den letzten eineinhalb Jahrzehnten habe Onur Güntürkün visuelle Hirnasymmetrien bei Tauben auf der Verhaltensebene umfassend charakterisiert. Seine Arbeit würde er einem Laien folgendermaßen erklären: “In einfacher Form bedeutet das, dass Sie beispielsweise jetzt meine Worte hören und dieses Gehörte in Bedeutung umwandeln. Diese Bedeutung führt dazu, dass Sie verstehen, was ich meine und sich in Ihrem Gehirn eigene Gedanken formen, aus der Sie dann Ihre Schlussfolgerung ziehen und mir eine Gegenfrage stellen. Dieser Vorgang kann zur Folge haben, dass sie sich morgen noch an unser Gespräch erinnern werden. Dieser Prozess spielt sich in Ihrem Gehirn ab und ist Teil Ihrer geistigen Welt. Ich möchte verstehen, wie diese Funktionen im Gehirn funktionieren.”
“Funktion des Gehirns zu verstehen ist wichtiger als der Preis”
Vor dem Gewinn des „Leibniz-Preises“ erhielt Güntürkün 1993 den Gerhard-Hess-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 2006 die Wilhelm-Wundt-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 2007 den großen Spezialpreis der TÜBITAK (das türkische Äquivalent zur DFG), mit dem jährlich ein international hochrangiger türkischer
Wissenschaftler ausgezeichnet wird. Mit seinen Forschungen ist Onur Güntürkün zu einem Mittler zwischen der türkischen und der deutschen akademischen Kultur geworden. Trotz der vielen Auszeichnungen richtet er seinen Fokus weiterhin auf die Forschung. Für ihn sei es wichtig, Fragen beantworten zu können: “Wenn man „zusätzlich“ den Leibniz-Preis bekommt, ist das natürlich etwas außerordentlich Besonderes. Aber im Kern arbeite ich selbstverständlich nicht für diese Preise, sondern dafür, dass ich bestimmte Fragen, die ich an die Natur stelle, auch beantworten kann. Das ist die eigentliche Genugtuung. Das heißt: Für mich ist es viel wichtiger, eine Funktionsweise des Gehirns verstehen zu können, als einen Preis zu bekommen. Aber Preise sind dennoch wichtig, denn sie dienen als Mechanismus, diese Fragen beantworten zu können. Deshalb ist es ein fantastischer Beruf, Wissenschaftler zu sein.”