Politische Partizipation war noch nie so verbreitet und leicht zugänglich wie heute. Nie zuvor waren Politik, politische Debatten und Streitgespräche so vielfältig und vielzählig.
-von Hüsseyin Topel
Soziale Medien haben als Innovation aus ihrer eigenen Dynamik eine Sphäre produziert, in der es nur so von politischen Experten wimmelt. Diese politischen Experten sind nicht zwingend gut informierte Bürger, die wohl aber ein Recht auf freie Meinungsäußerung haben. Das ist wiederum das Dilemma moderner Demokratien, bzw. des Facebook-Parlaments.
(Sie haben in politischen Debatten eigentlich genau so wenig zu suchen, wie Männer im Frauen-Klo!)
Nichtsdestotrotz wimmelt es im Internet von politischen Debatten, so sehr, das Soziologen unserer Zeit keine Politikverdrossenheit beklagen können, sondern eher eine politische Abstinenz ersehnen. Man muss aber auch die ebenso zunehmende Zahl derer erwähnen, die sehr wohl einen qualitativen Aspekt in politische Debatten einbringen. Diese Nutzer mit scheinbar fundierten Kenntnissen, ausgewogenen Überlegungen und durchaus vertretbaren Positionen stechen im breiten Schwarm der Nutzer auf.
Nämlich gerade durch ihr Wissen, denn ihre Kommentare werden von ebenbürtigen Nutzern registriert und erwidert und von den ahnungslosen Massennutzern entweder a) ignoriert, oder b) mit Beleidigungen erwidert.
(Ich höre die inneren Monologe verzweifelt und in dringlicher Lage: „Der Typ hat was gesagt und es hört sich so sehr nach Beleidigung an. Will der mich jetzt fertig machen oder was? Der soll mal lieber aufpassen! Oder meinte der mich nicht? Häh…?!)
Akteure der gegenwärtigen Politik
Dann gibt es noch die echten Akteure der gegenwärtigen Politik. Denn auf diesem näherreichen Boden der Sozialen Medien keimen ganz neue Methoden qualitativer und quantitativer Wahlkampfmöglichkeiten auf. Durch die einfachsten Eingaben werden Politiker in seitenlange Streitgespräche hinzugefügt, manchmal hineingezerrt, es sei denn sie fangen gezielt, oder anfänglich unbeabsichtigt selber diese heißen Themen an.
Solche Diskussionen sind nur unschwer binnen wenigen Sekunden zu finden. Abgeordnete finden sich zu Hauf und sogar auf Spitzenpolitiker und Minister kann man hier stoßen.
(Einige aufrichtige Politiker sitzen tatsächlich persönlich hinter ihren Accounts, andere mit despotischen Zügen bezahlen Social Media Managers und genießen die Sonne unter der Cloud.)
In der Politik-Welt gibt es zwei Fronten. Auf der einen Front arbeiten Fraktionen gegeneinander und versuchen ihre Anschauungen und Ziele zu erfüllen. Hier weiß man um das politische Couleur eines Gegenüber Bescheid und die Fronten sind eindeutig. Auf der anderen Seite gibt es die parteilosen Wähler, die gefordert sind von Wahl zu Wahl sich eine Partei als Stellvertreter zu ermitteln. Ohne diese parteilosen Bürger gäbe es weder Partei, noch Politik.
Die Parteilosigkeit ist hinsichtlich der geheim zuhaltenden Wahlen (Demokratie!) sehr wichtig. Allerdings kann man sagen, dass diese oben beschriebenen Diskussionen das Gebot der geheimen Wahlen aufgehoben (vergewaltigt) haben.
Zu sagen: „Es gibt keine fraktionslosen Nutzer mehr“ wäre beinah gerecht.
(Die Diskussionen sind farbenreicher, doch inhaltsleerer, facettenreicher, doch schmaler, umfangreicher, doch verbrauchbarer und vergessbarer denn je.)
Beschmückt durch den leichtfertigen Umgang mit allerlei Verschwörungstheorie ist das Facebook-Parlament allerdings deutlich aufregender, als die echten Plenardebatten in unseren Kreis-,Landtagen und unserem Bundesland. Das muss man ihnen schon noch lassen.