Der Computerspielpreis versichert der Gamer-Community, dass sie mit „wertvollem Kulturgut“ ihre Zeit verbringt. Weniger verständlich ist, dass der öffentlich bezuschusste Preis nach zweifelhaften Gesichtspunkten vergeben wird. (Foto: toffelginko)
-von Sabine Schiffer
Der Games-Branche ist es mit Schützenhilfe aus Politik, Wissenschaft und seitens des deutschen Kulturrats gelungen, die Anerkennung von Computerspielen als Kulturgut zu erreichen. Ausdruck des Erfolgs der Bundestagseingabe vom November 2007 unter dem Titel „Wertvolle Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken“, in dem es vor allem um Wirtschaftsförderung geht, ist die jährliche Ausschüttung von 375 000 Euro für den Computerspielpreis seit nunmehr 5 Jahren.
Das Preisgeld wird anteilig von der Games-Branche und dem Steuerzahler aufgebracht. Eine die Preisvergabe begleitende Anerkennungszeremonie mitsamt ihrem medialen Niederschlag ist wichtig für bessere Vermarktungsmöglichkeiten. Diese PR-Strategie wurde aus Südkorea abgeguckt, scheint aber in Deutschland erst langsam aufzugehen.
Prämierungszeremoniell bleibt intransparent
2012 gab es kurzzeitig Aufregung um die Preisvergabe, als mit Crysis2 ein brutaler Egoshooter als bestes deutsches Spiel ausgezeichnet wurde. Tatsächlich bleibt das Prämierungszeremoniell weitestgehend intransparent. So hätten die beiden Redakteure der Spielerzeitschrift Gamestar und GamesPro, die in diesem Jahr aus Protest die Jury verließen, nicht Crysis sondern Spec Ops – the Line ausgezeichnet. Mit gutem Grund.
Wenn auch in der Gamer-Community zu Recht darüber diskutiert wird, ob man Gewalt durch Gewalt kritisieren kann, so scheint in Spec Ops – the Line bereits die Antwort programmiert zu sein: Das Spiel zeigt im virtuellen Kampf die Gräuel von Krieg und Gewalt und führt dem Shooter gnadenlos die Folgen seiner Handlungen vor. Es „fördert das Nachdenken“, „mir ist schlecht geworden“ sind einige Kommentare von Gamern. Im Gegensatz zur Belohnung für Headshots und zumeist unsichtbares Blutvergießen wird hier der Finger in die Wunde der Verletzbarkeit des Menschen gelegt. Dieser anspruchsvolle Inhalt in einem Format, das bei Spielern auch Anerkennung findet, wurde jedoch nicht ausgezeichnet.
Stattdessen erhielt mit Crysis2 die Frankfurter Firma Crytek Anerkennung, die bereits ein Jahr zuvor den Deutschen Entwicklerpreis für den CryEngine als technische Innovation erhalten hatte. Dieser Engine macht gerade weltweit Karriere. Er bildet die Grundlage von Simulationssoftware für Rüstungsfirmen wie Lockheed Martin oder auch die Bundeswehr – Stichwort: Sagittarius Evolution. Genau hierin liegt ein wenig beachteter Aspekt der Computer- oder Videospiele: Während viele immer auf das Aggressionsverhalten von Gamern starren, sollte man vielleicht mehr die Analyse der politischen Botschaften in den Raum stellen, wie dies Michael Schulze von Glaßer in seinen Analysen tut. Denn die Games sind eingebettet in einen Diskurs, in dem zwar die Feindbilder ständig wechseln, die bellizistische Grundhaltung sich aber Bahn brechen kann – gerade wenn die Botschaft so einhellig wiederholend ist.
Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland Krieg und sog. Auslandseinsätze ablehnt, wird vielfach durch die tägliche Berichterstattung, Filme und Spiel das Bekämpfen des Feindes mit dem Mittel der Gewalt als einzige Lösungsmöglichkeit propagiert. Call of Duty – Modern Warfare 2 steht für das kontinuierliche Feindbild Russland, Battlefield 3 für das Feindbild Iran und Homefront für ein antikoreanisches Feindbild – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Anlage dieser Spiele, dass nämlich eine unausweichliche Gefahrensituation entstanden sei – natürlich ohne tiefere Gründe in Weltwirtschaft und Politik –, der man nur noch durch Waffengewalt im Selbstverteidigungsmodus begegnen könne, ist durchschaubar. Freilich gibt es auch andere Spiele, aber die genannten gehören mit zu den beliebtesten.
Das ist kein Kinderspiel
Die Ausrichtung der Jury des Computerspielepreises ist leicht zu durchschauen, wenn man den Drittmittelzuwendungen für die beteiligten „Wissenschaftler“ einmal nachgeht. Wie sich deren „Kompetenz“ in der Beurteilung von Software niederschlägt, können wir am Beispiel „Käpt’n Sharky“ als bestes Kinderspiel 2010 ersehen. Da heißt es in der Preisbegründung u.a.: „wirklich für Kinder konzipiert“, „richtet sich an Kinder ab 4 Jahren“, „ist eine Lernsoftware für die Vorschule“, „die Kindern lernen hier unter anderem Buchstabenerkennung, Zahlen erkennen und zählen, Farben und Formen unterscheiden und zuordnen“, „erste Übungen in englischer Sprache gehören dazu“, „besonders überzeugend war […] die unglaubliche Fülle an Aufgaben“, „Kinder ab 4 Jahren werden durch den Sprecher und die intuitive Steuerung an die Hand genommen“, „alle Möglichkeiten der Plattform sorgen für reichlich Abwechslung“, „besonders positiv fiel der Jury auf, dass das Spiel auch in türkischer Sprache spielbar ist“.
Nun wissen viele Eltern und ausgebildete Pädagogen, dass Kinder im Alter von 4 Jahren noch Geduld und Ausdauer lernen müssen und nicht unbedingt sinnvollerweise mit viel Abwechslung zu konfrontieren sind – weshalb auch die Sendung mit der Maus aufgrund der vielen wechselnden Bildformate für dieses Alter gar nicht geeignet ist. Wie beim Fernsehen auch, wird hier für die Spiele die Einstufung der Unterhaltungs-Software-Selbstkontrolle (USK), die alle Produkte hinsichtlich ihrer Altersgerechtigkeit um 2 bis 3 Jahre zu früh einstuft, nicht in Frage gestellt. Eine „Fachjury“ sollte das jedoch leisten können. Und dass man im Vorschulalter gerade Formen noch mit allen Sinnen und im Räumlichen erfahren müsste, sollte einer „Fachjury“ bekannt sein, wie auch die Tatsache, dass Lernen und besonders das Sprachenlernen nur in der Beziehung zu anderen Menschen gelingen. Bei älteren Kindern mit weiter fortgeschrittener Hirnentwicklung ist das wieder anders und da können auch Bildschirmmedien eine sinnvolle Ergänzung sein. Im frühen Alter jedoch bedeuten solche Angebote eine Reduktion an Reizen, weil im Zweidimensionalen Dinge vermittelt werden sollen, die in dem Alter nur mit ganzer Körperlichkeit erfasst werden können. Eine solche Videospiel-Lobhudelei ist verantwortungsloses Produktmarketing und nicht mehr.
Wirtschaftsförderung statt Medienkompetenz
Spätestens hier zeigt sich die wirkliche Ausrichtung des ganzen Events. Es geht nicht um die Entwicklung von Medienkompetenz und die Bildung von Kindern. Gerade das Bildungsargument dient der vielmehr der (zu) frühen Heranführung und damit dem Konsum. Vergleichbares habe ich an anderer Stelle über die sog. Schlaumäuse-Initiative beschrieben, die etwa für Kindergärten von Microsoft vorangetrieben wurde und angeblich den Spracherwerb von kleinen Kindern fördern soll. Mehr Seriosität vonseiten der Preisvergeber könnte hier helfen, aber vor allem ausreichend Distanz vonseiten der potenziellen Konsumenten – denn glaubwürdig ist die ganze Veranstaltung höchster Weihen zum Trotz nicht.
Felix Schröter, Gast bei der diesjährigen Preisverleihung in München, schreibt zu den Hintergründen in seinem Blog: „Peter Tscherne, Geschäftsführer der Stiftung Digitale Spielekultur, brachte es auf den Punkt: Es gehe darum, den kulturellen Stellenwert digitaler Spiele in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu dienen medienwirksame Events wie die gestrige Preisverleihung, dafür arbeitet unermüdlich die Stiftung Digitale Spielekultur und dies motiviert nicht zuletzt die Entscheidungen der DCP-Jury.“
Um welchen „kulturellen Wert“ aber geht es? Als 2010 Anno 1404 mit dem Computerspielpreis ausgezeichnet wurde, gab es dafür noch eine gewisse Berechtigung. 2014 nun erhält mit Anno Online die Browservariante den Preis in der Kategorie „bestes Browsergame“. Offensichtlich spielt die Enttäuschung vieler Spieler über das weniger aufwändig gestaltete free2play-Game keine Rolle bei der Entscheidung. Wer nämlich in Gamer-Foren liest, stellt fest, dass dieses Produkt wie einige andere in der Kategorie nicht wirklich f2p ist, sondern viele pay2win-Elemente erhält. So beschreibt ein User auf hadley.de am 6. April 2013 beispielsweise, wie man hier „mit Rubinen abgezockt“ werde.
Natürlich müssen die Hersteller auf ihre Entwicklungskosten kommen, jedoch reagiert die Community empfindlich auf Mechanismen, die weniger kluge Spielstrategien als bezahltes Vorankommen fördern. Und während sich die Entwickler der zukunftsträchtigen f2p-Branche in Foren wie gamasutra.com über die Chancen und Risiken dieser Form der Monetarisierung austauschen, scheint die Problematik bei der Jury des Computerspielpreises entweder noch nicht angekommen zu sein oder man hält es schlicht nicht für relevant.
Mehr dazu in Blog und Buch der Autorin: www.generationmedien.de