Wir brauchen mehr intelligente Dörfer!

Der weißrussiche Publizist Evgeny Morozow kritisiert das Zukunftsmodell der “intelligenten Stadt” und entwirft ein Gegenmodell. (Foto: W.L Tarbert)

-von forgsight

Die moderne Stadtplanung wird dominiert vom Konzept der “intelligenten Stadt” – die Utopie einer komplett vernetzten und sensorengesteuerten Metropole, die im Namen von Effizienz keinerlei Reibungen mehr kennt. Angetrieben wird dieses Konzept von Multinationalen Unternehmenmit dem Ziel ihre komplexen Lösungen an innovationshungrige, aber klamme Stadtverwaltungen zu bringen. Obwohl die ersten Prototypen dieser intelligenten Städte, wie Masdar in Abu Dhabi oder Songdo in Südkorea, eher Ansätze des Taylorismus zeigen anstatt des Urbanismus, ist die Begeisterung für das Modell ungebrochen.

Kürzlich hat Singapur verkündet, die öffentlichen Parkanlagen und Straßenkreuzungen mit Sensoren diverser Behörden auszurüsten. Die öffentlichen Dienstleistungen sollen auf ein “antizipatorisches” Modell zugeschnitten werden, um auf diese Weise kommunale Probleme komplett zu vermeiden. So soll unter anderem die Sauberkeit öffentlicher Plätze kontrolliert werden. Die Stadtreinigung würde nur dort auftauchen, wo sie gebraucht würde.

Dass diese “Smart Cities” tatsächlich die Lösung aller kommunaler Probleme darstellen, ist allerdings umstritten. Der Wunsch, urbane Konflikte mittels Algorithmen schon im Vorhinein zu vermeiden, widerspreche wahrem städtischen Leben, so der britische Künstler Usman Haque. Adam Greenfield kritisiert in “Against the Smart City” wiederum, dass es sich bei dem Modell lediglich um eine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen handle. Mozorow stellt fest, dass eine intelligente Stadt die sei, die effizienter agiere, sondern die sich ihrer Grenzen und Mängel bewusst ist, weil nur in so einer Stadt Minderheiten toleriert und die Rechte der Einwohner nicht eingeschränkt würden

Kompliziert sei es jedoch diese humanistische Haltung in konkrete Technologie umzusetzen. Es sei notwendig, ein Gegenmodell zur intelligenten Stadt zu kreieren, in der die Merkmale des ideologischen Gegenstücks deutlich werden. Eine Stadt ohne Technologie, quasi als Gegenstück und in Zeiten des NSA-Abhörskandals auch nicht sinnvoller, hält Morozow indes für sinnlos. Städte dienten schon immer als “Versuchsfelder” für Innovationen, seien es Kanalisation, Impfstoffe oder U-Bahnen. Das Konzept des “intelligenten Dorfes” hingegen würde in einer Tradition intellektueller Stadtkritik stehen. Das soll kein schlichtes ländliches Leben wie im Mittelalter bedeuten, sondern ein Leben im Dorf mit der technischen Entwicklung von heute ohne Nebenwirkungen, wie Lärm, Enge oder Überbevölkerung. Also eher ein Hightech-Antiurbanismus wie ihn sich Ralph Borsodi zu Zeiten der Fabrik- und Fließbandarbeit in den 1930ern vorgestellt hat. Mehr denn je scheinen “smart villages” eine Option zu sein angesichts des Potentials von Makerspaces, 3D-Druckern oder intelligenten Thermostaten. Wenn man Dinge, wie Kleider, Werkzeuge oder Lebensmittel einfach von zu Hause ausdrucken kann, muss man nicht mehr zwingend in der Großstadt leben. Für Kultur und Unterhaltung von zu Hause aus sorgten jetzt schon E-Reader, Tablets, Youtube und Netflix. Das “Global Village Construction Set”, zahlreiche einfach zusammensetzbarer und billiger Maschinen wie Backöfen oder Traktoren, entwickelt von Wissenschaftlern aus Missouri im Rahm des Projekts “Open Source Ecology” könnte als Vorbild für die Idee dienen.

Damit auf die Vorzüge einer modernen Großstadt nicht ganz verzichtet wird, kann die Idee auch auf Vororte angewendet werden, quasi als “intelligent suburbs”. Allerdings würden dort, wie auch in den Städten, wichtige Faktoren verloren gehen wie Gemeinschaftsgeist oder intellektuelle Anregungen. Denn ohne soziale und ökonomische Reformen sei das emanzipatorische Potential von Technologie sehr beschränkt. Es bestehe die Gefahr, das das intelligente Dorf zum stumpfen Abklatsch der intelligenten Stadt verkommen würde, “nur mit mehr Bäumen und Vögeln”. Während in der Stadt ein starker Fokus auf WiFi gesetzt wird, könnte man im Dorf nicht nur autofreie Zonen errichten und angesichts des wachsenden Unbehagens aufgrund von Überwachung auch internetfreie Zonen schaffen.

Orientieren kann sich das “intelligente Dorf” am Konzept des “globalen Dorfes” von Marshall McLuhann: Kleine überschaubare Einheiten, vernünftig dosiert, können durchaus sinnvoll sein und würden einen Gemeinschaftssinn und eine Art Lokalpartiotismus erzeugen. All das vor der Hintergrund der Frage, wie viel der Mensch in Zukunft überhaupt noch arbeiten muss in einer elektronischen Welt.

Mehr erfahren?

Evgeny Morozov in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (aus dem Englischen von Matthias Fienbork)