Wie sehen Streiks in der Internet-Ökonomie aus? Der beharrliche Arbeitskampf zwischen Amazon und Ver.di wird immer mehr zu einem Reallabor, in dem neue Aktionen, Medien und Inhalte getestet werden. (Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung/Flickr)
Man kann die Uhr danach stellen. Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft wird die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zu Streiks in den Versandzentren Amazons aufrufen. Der Online-Handel hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Ein Streik im Hochsaison des Konsums würde das amerikanische Weltkonzern hart treffen. Allerdings dauert diese Auseinandersetzung eine gefühlte Ewigkeit.
Zum ersten Mal hat Ver.di 2013 seine Mitglieder in den Amazon-Betrieben zum Streik aufgerufen. Seitdem fanden eine Vielzahl an Arbeitskämpfen statt, die nicht nur vor den Betriebstoren ausgetragen wurden. In den sozialen Netzwerken organisierten sich die Befürworter und Gegner der Arbeitsniederlegungen. Doch das ist nicht die einzige Besonderheit dieser Auseinandersetzung.
Mit Pappschilder und Trillerpfeifen – Streik in Deutschland
Es ist Gewohnheit in Deutschland, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich treffen, miteinander verhandeln, oft streiten und manchmal streiken. Dabei bewaffnen sich die Mitarbeiter mit Schildern und Trillerpfeifen, die auf der zuvor festgelegten Marschroute zum Einsatz kommen. Am Ende aber finden beide Parteien im Lichte der Gesamtlage der deutschen Wirtschaft eine gute Lösung.
So läuft es bei Amazon offensichtlich nicht. Das Unternehmen hat wenig Verständnis für die Gewerkschaften und nutzt jedes Recht und jedes Mittel, das ihm zusteht, um Streiks und gewerkschaftliche Organisation der Belegschaft zu verhindern, so ein Vorwurf von Ver.di. Es will keinen Tarifvertrag akzeptieren und Löhne möglichst niedrig halten. Gewerkschaftsvertreter gehen davon aus, dass die Auseinandersetzung sieben bis acht Jahre noch andauern kann. So steht es in einer Analyse der gewerkschaftsnahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Labor des Widerstands – eine Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung
In der Veröffentlichung “Der lange Kampf der Amazonbeschäftigten – Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel” beleuchten Jörn Boewe und Johannes Schulten die Geschichte und den Verlauf des Arbeitskampfes. Dabei heben die Autoren an vielen Stellen hervor, dass der Arbeitskampf gegen Amazon ein Reallabor für neue gewerkschaftliche Kampagnen, Aktionen und Agitationen geworden ist.
In der Analyse nennen die Autoren eine Aktion “Unangekündigte Streiks aus dem laufenden Betrieb heraus”, beschreiben im Grunde “Flashmob”-Aktionen, also spontane Arbeitsniederlegungen, die kurzfristig angekündigt werden. In einem anderen Fall heißt es “Taktik der tausend Nadelstiche”, doch die Autoren schildern klassische Guerilla Marketing-Taktiken, die in kleinen Gruppen angeführt werden und einen Überraschungseffekt erzielen.
Aus dieser Perspektive betrachtet nimmt der Arbeitskampf zwischen Ver.di und Amazon eine ganz andere Bedeutung ein. Er könnte ein Inkubator werden, durch den neue Formen, Inhalte und Medien des Arbeitskampfs in der digitalen Ökonomie erprobt werden. Weitere Hintergrundinformationen zur Auseinandersetzung zwischen Ver.di und Amazon findet man auf www.amazon-verdi.de.